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UNiMUT aktuell: Heidelberg ist nicht Bologna

Die Heidelberger Schwierigkeiten mit dem Bologna-Prozess

Heidelberg ist nicht Bologna (09.03.2005)

Zeitweise hatte der "Bologna-Prozess" -- ihr erinnert euch, Einheitlicher Europäischer Hochschulschaum mit gestuften Studiengängen und allen Schikanen vor allem für Studis -- auch in diversen Gremien der Uni Heidelberg mal Priorität Cosmic. Doch in den letzten Jahren war wenigens in der Neckarperle nicht mehr schrecklich viel davon zu hören, sieht mensch von einzelnen Schmerzäußerungen ab.

Das äußert sich nicht zuletzt in der Studistatistik, denn jedenfalls in absoluten Zahlen bleiben die "reformierten" Studiengänge in Heidelberg weitgehend bedeutungslos. Im Vergleich zum letzten Jahr wuchs die Zahl der Bachelor-KandidatInnen lediglich von 198 auf 330 (das sind jetzt 1.2% aller Studis gegen 0.7% im Vorjahr), die der Master-Studis von 96 auf 155.

An sich wäre das nicht wirklich schlimm, denn in der Realität bedeutet die Einführung der "modernen" Studienstruktur regelmäßig kaum mehr als eine Zunahme von Gängelung, Verschulung und Bevormundung für die Studierenden, von Bürokratie und Aufwand für die Lehrenden. Doch kommt die Untätigkeit in Sachen Bachelor vor allem beim Rektorat weniger aus der Einsicht, dass die "alten" Abschlüsse so verkehrt nicht sind und dass dem "Reform"eifer von oben Widerstand entgegensetzt werden müsste -- es ist schlichte Inkompetenz, die sich rächen wird, sobald der externe Druck zu groß wird.

Dieser Druck baut sich derzeit vor allem in Gestalt des neuen LHG auf, das in §29 vorsieht, ab Wintersemester 2009/10 keine Studierenden mehr in Magister- und Diplomstudiengänge aufzunehmen -- you got that right, ab Ende 2009 ist Schluss, wenn sich nicht noch viel Widerstand regt. Fächer, die in vier Jahren noch neue Studis haben wollen, täten also gut daran, jetzt zu planen, wie sie ihre Ausbildung dann organisieren wollen.

In der Vergangenheit populär war der Twist, die Zwischenprüfung bzw. das Vordiplom kurzerhand als Bachelor umzulabeln und bei der Gelegenheit die Zahl der Pflichtscheine kräftig zu erhöhen. Der Twist ist nett, wenn mensch keine Zeit und Lust hat auf die Umstellung, er führt aber dazu, dass die schlechten Eigenschaften von alter und neuer Studienstruktur kombiniert werden, während die ohnehin schwach ausgeprägten möglicherweise positiven Seiten der Bologna-Studiengänge gänzlich hinten runterfallen.

Zu diesen gehört etwa die Modularisierung. Die Grundidee dabei ist, den Stoff des Studiengangs sinnvoll in größenordnungsmäßig zehn "Module" zu gliedern, deren jedes aus mehreren Veranstaltungen besteht. Idealerweise verfügen diese Module dann über eine einheitliche innere Choreographie (z.B. "Grundlagen, exemplarische Vertiefung, Anwendung"). Für sich genommen ist das Mumpitz, in der konsequenten Anwendung mag eine Modularisierung aber durchaus zu konsequenteren und effektiveren Studiengängen führen, schon, weil eine derartige Aufarbeitung des Stoffs auf Seiten der Lehrenden für etwas Klarheit sorgen kann, was denn nun eigentlich der zu vermittelnde Inhalt sei und welche Vermittlungsformen wo angemessen sind.

Eine solche Modularisierung ist viel Arbeit, zumal die Module zwecks einer (ohnehin illusionären) Austauschbarkeit einen möglichst uniweit gleichen Umfang haben sollten (z.B. 8 SWS Präsenzzeit bzw. 12 ECTS-Punkte, was nach gegenwärtiger Berechnungsgrundlage zu 12 bis 14 Modulen für einen Bachelor führt). Eine Struktur dieser Art dürfte sich mit den Bedürfnissen etlicher Fächer nur schlecht vertragen -- weit kritischer aber ist, dass "richtige" Studis, die ihr eigenes Bildungsinteresse realisieren wollen, durch diese Sorte Regulierung ziemlich geschnitten werden.

In konsequent modularisierten Studiengängen spielen die Module auch insofern eine entscheidende Rolle, als sie jeweils mit einer Prüfung abgeschlossen werden. Die aus diesen Prüfungen hervorgehenden Noten bestimmen schließlich ganz oder jedenfalls wesentlich die Abschlussnote. Es liegt auf der Hand, dass diese "studienbegleitenden Prüfungsleistungen" Dinge wie Teilzeitstudien deutlich erschweren, doch die Mehrheit der "ordentlichen" Studierenden dürfte ingesamt davon profitieren, dass nicht ein paar Stunden am Ende des Studiums allein über die magische Zahl entscheiden, die das Ziel der Aus-Bildung ist und dann gleich Einstiegsgehalt und Karriere determiniert.

Die oben erwähnten ECTS-Punkte (ECTS: European Credit Transfer System) verdienen dabei noch eine kurze Betrachtung. Ein ECTS-Punkt soll einen Arbeitsaufwand von 25 bis 30 Stunden repräsentieren -- allein diese Angabe zeigt die Realitätsferne dieser Argumentation, denn der tatsächliche Zeitaufwand für ein und dieselbe Veranstaltung wird von Person zu Person und von Semester zu Semester ohne weiteres um einen Faktor zehn variieren. Weil aber der Arbeitsaufwand mehr aus dem Bauch als aus dem Kopf heraus geschätzt wird, kommt es hier regelmäßig zu Reibereien zwischen den Fächern, die gegenseitig ihre ECTS-Punkte nicht anerkennen wollen -- bereits zwischen Instituten der Uni Heidelberg. Das "European" in ECTS muss also definitv mit viel Vorsicht genossen werden.

Natürlich können weder Modularisierung noch studienbegleitende Prüfungsleistungen als Teile eines wirklich zukunftsweisenden Unikonzepts durchgehen. Und doch, mangels politischer Kraft, das ganze Unsinnsprojekt Bologna zu stoppen, wäre ihre Abbildung in den realen Prüfungsordnungen immerhin potenziell fortschrittsschwanger. Aber wie gesagt: um das alte SPD-Motto "Arbeit, Arbeit, Arbeit" führt dabei kein Weg herum. Das SPD-Rezept für Arbeitszwang -- Ein-Euro-Jobs -- wird hier kaum helfen, und da die diversen Uni-Verantwortlichen sich im Gegensatz zu Ein-Euro-JobberInnen noch immer recht weitgehend aussuchen können, woran sie arbeiten, arbeiten sie halt lieber nicht an unerfreulichen Themen, unter denen Lehre halt mal ganz weit oben steht. Darüber hinaus kostet Arbeit Zeit, und diese wird, siehe oben, allmählich zum knappen Gut.

Aber wir wollen nicht ungerecht sein. Wenn schon nicht ernsthaft an der Umsetzung der Bologna-Vorgaben gearbeitet wird, wird doch immerhin daran gearbeitet, Pläne zur Planung dieser Umsetzung zu erarbeiten. Schon vor einem Jahr hat die Prorektorin für Lehre, Silke Leopold, einen Plan zur Erstellung von Rahmenprüfungsordnungen für die neuen Studiengänge vorgelegt, von dem seither nicht mehr viel zu hören war. Soweit der Redaktion bekannt, hat Leopold es sich nicht einmal angelegen sein lassen, nach Erfahrungen mit den bereits bestehenden Bachelor-Prüfungsordnungen und -Studiengängen zu fragen. Doch jetzt schlägt das Dezernat 2 zu, nachdem die bisherige Dezernentin ihren Hut genommen hat und derzeit kommissarisch durch den auch nach vier Jahren Uni Heidelberg noch dynamischen Andreas Barz vertreten wird.

Und dieser legte nun seinerseits einen Plan vor, der die Rahmen-POen für Juni 2005 und zwei zentrale Kommissionen jeweils für Magister- und Diplomstudiengänge vorsieht, um bis Oktober 2006 (!) sämtliche (!) Magister- und bis Oktober 2007 sämtliche Diplomstudiengänge in akkreditierungsfähige Form zu bekommen (zum Akkreditierungswahnsinn versprechen wir demnächst einen etwas ausführlicheren Beitrag). Wenn nicht ohnehin klar wäre, dass dieser Plan unrealistisch ist, wäre bei diesem Tempo immerhin sicher, dass sämtliche Möglichkeiten, auch ein paar positive Punkte einzuschmuggeln, vergeben würden. Insofern ist auch nicht schlimm, dass bereits andersartig "reformierte" Studiengänge offenbar nicht an das Rahmenkonzept angepasst werden sollen -- es geht eben definitiv nicht darum, von den Erfahrungen bestehender Studiengänge zu "profitieren".

Auch in anderer Hinsicht kündigt sich allmählich Aktionismus an, der häufig nicht sonderlich gut überlegt wirkt. So beschafft das Studierendensekretariat, wie man hört, derzeit eine neue Software zur Verwaltung der kommenden Flut an so genannten Eignungsfeststellungsverfahren. Diese wünscht das Ministerium als flächendeckende Hürde zur Zulassung zu Studiengängen und legt sie im Absatz 4 von §30 LHG den Unis sehr warm ans Herz -- die zur Zeit in Beratung befindliche LHG-konforme Grundordnung der Uni wird voraussichtlich ebenfalls EFVen zwingend vorschreiben. Dass die Wahl der Kanzlerin dabei auf ein Programm des Hochschul-Informations-Systems HIS fiel, ist bemerkenswert, weil es den Wildwuchs nur begrenzt miteinander verträglicher Software an der Uni um ein weiteres System erweitert. Wohlwollen der zuständigen EDV-Abteilung der ZUV für diese Entscheidung dürfte kaum vorhanden gewesen sein -- aber wir haben ja straffe Leitungsstrukturen, damit solcher Mangel nicht stört.

Ebenfalls bemerkenswert an dieser Wahl ist, dass das Rektorat in 2003 die von uns schon avisierte Einführung von HISPOS -- eines HIS-Programms zur Prüfungsverwaltung, wie sie bei den Bolognese-Studiengängen ebenfalls quasi unerlässlich ist -- torpediert hatte und die Studiengänge, die dringend auf eine funktionierende Prüfungsverwaltung angewiesen waren, ihrerseits eine mit HIS nur eingeschränkt interoperable, lokale "kleine" Lösung suchten und fanden. Flickwerk, Krakelei, unüberlegte Schnellschüsse, Grassroots-Initiativen zur Rettung des Tages: Wenns nicht am Ende an den Studis ausging, müsste mensch sich über die ungewollte Sabotage des Rektorats eigentlich freuen.

Wie auch immer: Unser Rektorat befindet sich in guter Gesellschaft, wenn es Bachelor und Master nicht wirklich angeht. Die Regierung selbst nämlich hat sich vom Doomsday im Wintersemester 09/10 explizit ausgenommen. Die einphasigen Studiengänge, in denen das Land seine LehrerInnen, RichterInnen, ÄrztInnen usf. ausbildet und die mit einem Staatsexamen abschließen, dürften dann weiterhin munter zulassen. Das heißt also, dass sich das Land die Flexibilität, die es von Studierenden wie KonsumentInnen der Bachelors und Masters erwartet, selbst nicht zutraut. Diese Selbsteinschätzung ist angesichts der end- und fruchtlosen Debatten etwa um eine Stufung der LehrerInnenbildung sicher zutreffend, aber ebenso sicher wenig schmeichelhaft sowohl für die Regierung als auch für den ganzen seltsamen Plan der zweistufigen Ausbildung.

"Befrage mich nicht auf Logik" fleht das Kabinett. "Bestimmt nicht" sagt die Redaktion.

Nachtrag (6.4.2005): Die Gerüchte um die neue Software des Studierendensekretariats waren richtig -- Im Uni-Stellenmarkt vom 24.3. sucht die ZUV eineN "IT-Spezialisten/in", der/die sich um die Einführung von HISZUL-GX 7.0 und HISQIS-ZUL sowie deren Anbindung an die Oracle-Datenbank kümmert, auf der die restliche ZUV basiert. Seine Stelle ist auf ein Jahr befristet, was schon ahnen lässt, dass die ZUV nicht ahnt, worauf sie sich da einlässt. Jedenfalls: Laufen soll der Kram laut Ausschreibung im Sommersemester 2006.

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Dieser Artikel wurde zitiert am: 06.04.2005, 23.04.2005, 11.05.2005, 22.06.2005, 13.07.2005, 28.09.2005


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