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UNiMUT aktuell: Modern, schlank, flexibel

Die Qualen bei der Einführung eines neuen Studiengangs

Modern, schlank, flexibel (22.07.2003)

Der folgende Artikel wurde uns von einem Studierenden der Computerlinguistik zugeschickt. Wir möchten an dieser Stelle betonen, dass wir gestufte Studiengänge eigentlich für keine besonders gute Idee halten, zumal klar ist, dass sie eigentlich primär ein Trick zur Durchsetzung von Schmalspurstudiengängen für die dummen Massen sein sollen. An diesem Fall ist allerdings interessant, wie die ach so rührige und moderne Uni Heidelberg samt ihren reformierten und stromlinienförmigen Entscheidungsstrukturen sachlich wohlbegründete Reformschritte verschleppt. Und dass obwohl klar ist, dass jeder "moderne" Studiengang Pluspunkte in Stuttgart bringen kann - und obwohl im konkreten Studiengang auch klar ist, dass es hier nicht nur - wie in anderen Fächern derselben Fakultät - um halbherzige Entwürfe zur Erlangung eben der Pluspunkte geht...

Im Juli 2001 ließ der Senat der Universität Heidelberg in einer Pressemitteilung verlautbaren, dass man die Einführung eines neuen Bachelor- und Master-Studienganges für Computerlinguistik (CL) beschlossen hatte.

Diese Meldung, die in Tageszeitungen, Fachblättern und auf der universitätseigenen Homepage zu lesen war, bedeutete für viele Computerlinguistik-Studierende damals die Rettung in der Not: Obwohl die Computerlinguistik schon von ihrer Natur aus interdisziplinär angelegt ist, konnte man sie in Heidelberg bislang nur als Magisterhauptfach bzw. -nebenfach studieren. Nun endlich wurde es möglich, CL nachhaltig und intensiv zu studieren, ohne sich mit der stupiden Magisterprüfungsordnung (kein Abschluss ohne Latinum!) oder einem ungeliebten zweiten Hauptfach herumschlagen zu müssen.

Bei den Computerlinguistik-Studierenden war damals eine große Feier angesagt: Schon immerhin zwei Jahre lang hatte man einen frustrierenden Kampf gegen die Windmühlen der Verwaltung und den Widerstand der eigenen neuphilologischen Fakultät gekämpft -- und endlich schien dieser Kampf gewonnen.

Was macht man, wenn man CL im Magister studiert, sein zweites Haupfach nicht übermäßig interessant findet, sich am liebsten vollständig der Computerlinguistik widmen würde und eine solche Pressemitteilung liest? Ganz richtig, man lässt alles liegen und stehen, "parkt" auf seinem zweiten Hauptfach und studiert nur noch CL.

Jetzt, zwei Jahre später, lassen sich die ersten Studierenden, die solche Strategien verfolgt haben, ohne Abschluss exmatrikulieren, andere wandern, ebenfalls ohne Abschluss, an andere Universitäten ab, und etliche ausländische Studierende stehen davor, ohne Abschluss in ihr Heimatland zurückgeschickt zu werden. Warum? Weil sie den Fehler gemacht haben, einer offiziellen Presseerklärung der Universität Heidelberg Glauben zu schenken.

Denn der BA/MA-Studiengang Computerlinguistik existiert immer noch nicht.

Was ist passiert? Das ist gar nicht so einfach zu erklären, und doch wollen wir den Versuch wagen.

Computerlinguistik, das ist der Versuch, Computer und natürliche Sprache einander näher zu bringen, dem Computer beizubringen, natürliche Sprache zu analysieren und letzten Endes zu verstehen. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Unterfangen eine recht seltene Kombination an Interessen und Fähigkeiten vorraussetzt: Studierende sollten sich für Sprache interessieren, aber auch programmieren können. Und das beides nicht nur irgendwie gerade mal so ein bisschen, sondern viel eher wie eine Informatikerin und ein Linguist in einer Person.

Die Computerlinguistik ist in Heidelberg innerhalb der Neuphilologischen Fakultät angesiedelt. Diese Einordnung mag auf den ersten Blick durchaus sinnvoll erscheinen (denn es handelt sich um einen Zweig der Sprachwissenschaft), universitätspolitisch gesehen aber ist sie unklug. Denn die Computerlinguisten sind Außenseiter innerhalb der Neuphilologie -- niemand weiß so recht, was "die" eigentlich machen. Irgendwas mit Computern. Das ist seltsam. "Die" wollen, dass man ihnen das Latinum in der Prüfungsordnung erlässt. Das ist verdächtig. Und "die" wollen unbedingt mehr Professoren- und Mitarbeiterstellen ("die" sollen sich nicht so haben -- ein Professor auf 280 Studierende passt doch!). Das ist äußerst verdächtig. Man sieht schon: Computerlinguisten haben innerhalb ihrer Fakultät keine Lobby. Und die ist vonnöten, wenn man etwa einen neuen Studiengang einführen will. Lange Zeit scheiterte es einfach daran, dass die eigene Fakultät dagegen war und sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit sperrte, als "die" auch noch einen neuen Studiengang wollten. Erst 2001 kam der Umschwung. Warum, das lässt sich heute nicht mehr ganz präzise sagen, aber es ist wahrscheinlich, dass mehrere Faktoren dazu führten, dass der Fakultätsrat schließlich einwilligte:

  • Es mag sein, dass die damals sehr aktive Fachschaft Computerlinguistik einen nicht unbedeutenden Anteil am Beschluss hatte.
  • Professor Hellwig, der Inhaber des Lehrstuhls selbst, setzte sich schon seit Jahren mit immenser Leidenschaft für den neuen Studiengang ein.
  • Eine Demonstration von über einhundert CL-Studenten vor der Fakultätsratsitzung in der neuen Aula könnte auch zum Umdenken beigetragen haben. Zwar regte sich ein Professor darüber auf, dass Hellwig seine Studenten nicht unter Kontrolle hatte und diesen vom Grundgesetz zugesicherten Akt der freien Meinungsäußerung nicht zu verhindern vermochte, aber im Großen und Ganzen wurde die Demonstration mit viel Sympathie aufgenommen.
  • Auch das Kapern der Institus-Homepage, auf der plötzlich jeder Besucher in signalgrüner Schrift auf düsterem Schwarz lesen konnte, dass die CL-Studenten jetzt endlich einen vernünftigen Studiengang haben wollen, könnte Wirkung gezeigt haben.

Was es auch letzten Endes war -- plötzlich schien alles in bester Ordnung zu sein, es musste nur eine Studienordnung her. Auch das war kein Problem, denn Hellwig hatte schon längst eine Studienordnung vorbereitet, die nur darauf wartete, vom Senat abgesegnet und an das MWK weitergeleitet zu werden.

Und dann begann die große Hinhalte-Scharade, die, wenn sie weitergeführt wird, einer nicht unbedeutenden Anzahl an Studenten noch in diesem Jahr den Hals brechen wird. Die Studienordnung lag erstmal ein Jahr beim Dezernat 2 herum, ohne dass etwas geschah.

Erst als sich mehrere Studenten in einem Onlinechat auf mit dem Ministerium in Verbindung setzten, wurde klar, dass die Studienordnung das Ministerium überhaupt nie erreicht hatte [Anmerkung der Redaktion: Sie war durchaus beim Ministerium angekommen; dieses allerdings hatte an das Dezernat 2 verlauten lassen, es bestünden erhebliche Mängel, ohne genauer auszuführen, welche dies seien. Dies veranlasste auch offenbar niemanden, die CL zu informieren oder die Art der Mängel in Erfahrung zu bringen...]. Stattdessen erklärte Frau Reiher vom für Prüfungsordnungen zuständigen Uni-Dezernat ein paar Tage darauf plötzlich, die Studienordnung hätte ja schließlich gravierende inhaltliche Mängel und könne deshalb so nicht ans Ministerium gehen [Diese Darstellung ist so nicht ganz richtig, s.o.; der Schluss allerdings bleibt trotzdem richtig -- Red.]. Eine Aussage, die man nach einem Jahr als geringfügig verspätet bezeichnen kann.

Unnötig zu sagen, dass Reiher keine Auskunft darüber erteilen konnte, welche inhaltlichen Mängel das eigentlich waren. Wer jetzt lautstark "Skandal!" rufen will, möge sich bitte noch ein wenig zurückhalten, denn die Geschichte geht noch weiter.

Die Fachschaft hatte die Nase voll und startete eine Unterschriftenaktion. Ziel: Magnifizienz, der Rektor persönlich. Nun, über zweihundert Unterschriften lassen auch den Rektor nicht kalt, und so wurde gehandelt, ein Sündenbock gesucht und auch schnell gefunden: Professor Hellwig. Warum der? Nun, er war einfach unfähig gewesen, auf übersinnliche Art und Weise in Frau Reihers Gedanken einzudringen und herauszufinden, was ihr an der Studienordnung nicht passt -- dabei war das ja wohl das Mindeste, was man von ihm verlangen konnte!

Scherz beiseite -- der Rektor erklärte das Thema BA/MA umgehend zur Chefsache. Frau Reiher höchstpersönlich arbeitete zu diesem Zweck die Studienordnung komplett um -- mit dem Effekt, dass jetzt inhaltlich mehr oder weniger genau das Gleiche darin zu lesen ist wie in Hellwigs Version von vor zwei Jahren. Schließlich versprach der Rektor, der BA/MA-Studiengang würde an allen Instanzen vorbei im Sommersemester 2003 eingeführt werden.

Denksportaufgabe: Welcher im obigen Text erwähnte Studiengang wurde im Sommersemester 2003 an der Universität Heidelberg natürlich nicht eingeführt?

Ganz genau.

Es gibt eine Theorie, die besagt, dass alles von vornherein ein abgekartetes Spiel war. Die Computerlinguisten und ihr rühriger Professor sind in der Fakultät nicht besonders beliebt und brauchen haufenweise Platz und Resourcen. Dieses Problem würde sich im Sommer 2004 automatisch erledigen, denn dann wird Hellwig emeritiert, und man würde ihn bei Nicht-Neubesetzung seiner Stelle zusammen mit seinem Studiengang auf bequeme Art und Weise loswerden. Leider kamen die BA/MA-Planungen dazwischen -- also musste man Zeit gewinnen, bis sich das Thema erledigt hätte...

Im Prinzip ist es egal, was eigentlich genau gespielt wurde. Das Wichtige ist nur: Einer nicht unbedeutenden Anzahl von Studenten der Universität Heidelberg werden seit zwei Jahren mit dubiosen Machtspielchen Zukunftsperspektiven genommen. Man könnte natürlich anführen, zwei Jahre seien nicht so viel Zeit. Dabei muss man allerdings berücksichtigen, dass viele Studierende schon seit den ersten Gerüchten über den BA/MA-Studiengang (anno 1999) mit dem Gedanken spielen, sich bei Verfügbarkeit umzuschreiben. Aber es besteht auch Hoffnung: Angeblich kommt der BA/MA-Studiengang jetzt "ganz sicher" im nächsten Wintersemester.

Es soll Studierende geben, die das tatsächlich glauben.

Nachtrag (20.8.2003): Die Skepsis unseres Gastautors war überaus berechtigt. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass der Studiengang wohl wirklich nicht zum Wintersemester kommen wird, diesmal, weil die LRK derzeit eine Kommission zur Erarbeitung von Empfehlungen für die "kleinen Fächer" im Land eingesetzt hat und deren Entscheidung (die ja durchaus sein könnte, die Heidelberger Computerlinguistik dicht zu machen) nicht vorgegriffen werden soll. Es scheint also, dass es frühestens Ende des Jahres weitergehen kann -- dann nämlich sollte diese Kommission ihren Bericht vorgelegt haben.

Nachtrag (5.12.2003): Vor ein paar Tagen wurde aus Stuttgart signalisiert, einer rückwirkenden Einführung zum Wintersemester 2001/02 stehe nichts mehr im Wege. Das ist schön. Wenn auch für all die ExilantInnen mittlerweile etwas spät, denn diese können sich leider nicht rückwirkend um-immatrikulieren...

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Dieser Artikel wurde zitiert am: 30.11.2003, 03.01.2004, 09.03.2005


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Erzeugt am 22.07.2003

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