Eine Konferenz zum Thema Bologna und eine neue Export-Uni
Wollen wir Kopftücher in Kairo erlauben? (08.10.2003)
Nur die aggressivsten Dampfredner sagen bereits jetzt laut, dass massive soziale Selektion (z.B. Studiengebühren), Akzentuierung der gesellschaftlichen Hierarchie (z.B. "gestufte Studiengänge" a.k.a. Schmalspur-Bachelor vs. Elite-Master) und Entsolidarisierung der Gesellschaft (z.B. Privatisierung der Unis) die eigentlichen Prärogative der aktuellen "Reform"politik sind -- selbst wenn eine schlichte Analyse dessen, was da mindestens dreistufig renten-, arbeitsmarkt-, gesundheitswesen- und hochschulreformiert wird, gar keinen anderen Schluss zulassen. Wenn mensch zum Nachdenken käme.
Damit da nichts anbrennt, tarnen weniger aggressive Dampfredner diese Agenda durch schöne Worte, die im englischen Sprachraum als "Weasel Words" bekannt sind. Der UNiMUT vergibt heute zum ersten und einzigen Mal den Peter Glotz Award for Most Useful Weasel Words, und der zweite Preis, nur drei Punkte hinter "knappen Kassen", geht an "Internationalität".
Wie wichtig diese sind, konnte mensch jüngst zur Eröffnung der "German University in Cairo" (GUC) hören, zu der eigens Gerhard Schröder und Erwin Teufel in die Nilmetropole gereist waren -- inklusive Entourage sind dabei bestimmt schon wieder 2500 Verwaltungskostenbeiträge draufgegangen.
Wers nicht mitgekriegt hat: Ganz grob umrissen sollen ÄgypterInnen den Unis Ulm und Stuttgart einige tausend Euro im Semester zahlen, um nach deren Plänen entworfene Studiengänge im Lande der PharaonInnen besuchen zu dürfen. Begrenzt positiv daran ist noch, dass die Studis an der GUC immerhin Naturwissenschaft und Technik vermittelt bekommen sollen und wenigstens nicht Jura und Betriebswirtschaft wie in etlichen bereits bestehenden Konkurrenzinstitutionen. Ob allerdings gerade Genetic Engineering viel nützlicher ist als gekonnte doppelte Buchführung und gute Umgangsformen, mag doch bezweifelt werden.
Ansonsten ist dieser so genannte Bildungsexport, so nett er auf den ersten Blick scheinen mag, nur ein neuer postkolonialer Trick: AusländerInnen mit zweifelhafter Gesinnung und Eignung wollen wir doch eigentlich nicht in unser schönes Land und umsonst (oder jedenfalls für noch relativ wenig Geld) an unseren ach so teueren Unis studieren lassen, wenn sie genausogut bleiben können, wo sie sind und dann noch ordentlich zum Geldtransfer von Arm zu Reich beitragen -- zumal diese Länder doch eh kein eigenes Bildungssystem haben. Sollte sich dann aber zeigen, dass das eine oder andere Kind des Südens "uns nützen" (Stoiber) mag, können wir es immer noch quasi mit Vorkaufsrecht importieren. Was sollte Ägypten denn auch mit fähigen IngenieurInnen?
Derweil wird der neue "Internationalisierungsschub" innerhalb der reichen Staaten mittlerweile auch in einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen. Wir hatten über diesen "Bologna-Prozess" genannten Master-Plan zu Schmalspurstudiengängen schon vor anderthalb Jahren berichtet, treue LeserInnen waren also vorbereitet und hätten glatt mitdiskutieren können auf einem Kongress zu diesem Thema, der jüngst in Mannheim stattfand. Für die LAK nahm Jesko Splittgerber daran teil und gab anschließend Mannheimer Studizeitung basta ein Interview, das wir euch nicht vorenthalten wollen. Wir übergeben an die Kollegen:
"Studentischer Einfluss nur auf unterster Ebene möglich"
Seit der Bologna-Erklärung von 1999 sind gestufte Studiengänge,
Modularisierung und Leistungspunktesysteme bereits an vielen Hochschulen
eingeführt worden oder sollen in absehbarer Zeit eingeführt werden. Am 25.
und 26. September trafen sich nun in Mannheim Vertreterinnen und
Vertretern von Hochschulen, der Politik und der Wirtschaft zum
Thema "Strukturreform und ihre Konsequenzen". Die Basta befragte Jesko
Splittgerber, den Sprecher der LandesAStenKonferenz (LAK) von Baden-
Württemberg, der als studentischer Vertreter an der Tagung teilnahm.
basta: Der Vision eines gemeinsamen europäischen Hochschulraumes stehen
die Befürchtungen eines Kahlschlags im deutschen Bildungssystem gegenüber.
Welche Reformziele beschreiben die Vereinbarungen von Bologna und wie
werden die bisherigen Anstrengungen allgemein bewertet?
Jesko: Die Erklärung von Bologna ist als gemeinsame Willenserklärung der
Bildungsminister auf EU Ebene von ihrer Interpretationsbreite, dass heißt
in ihrer Ausgestaltung relativ ergebnisoffen. Das Ziel der Erklärung war
1999 die Schaffung eines "europäischen Hochschulraums", der eine
Vergleichbarkeit der europäischen Hochschulabschlüsse durch ein
einheitliches konsekutives Studiensystem ermöglichen sollte. Die Bachelor-
und Masterstudiengänge waren dabei gar nicht notwendigerweise ins Auge
gefasst. Ein weiterer wichtiger Punkt war die Zusammenarbeit bei der
Qualitätssicherung sowie die Mobilität von Studierenden und Lehrenden in
Europa.
Das Problem ist, dass der angestoßene Bologna-Prozess in der Debatte nicht
mehr von anderen Hochschulreformen unterschieden wird. Das heißt, dass die
Ausgestaltung beispielsweise in Baden-Württemberg eng mit den Sparkursen
und der stärkeren Wettbewerbsorientierung der Hochschulen untereinander
verknüpft wurde. Mit der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge
wird vielerorts eine massive Ökonomisierung von Bildung vorangetrieben und
der angebotene Fächerkanon schrumpft dann schnell auf das von der
Wirtschaft geforderte Spektrum. So waren zum Beispiel auch
Auswahlverfahren in der ursprünglichen Bologna Erklärung nicht enthalten.
Es wurde vielmehr die Bedeutung von Bildung für eine demokratische
Gesellschaft und als öffentliches Gut bekräftigt.
basta: Wie sieht der konkrete Zeitplan zur Umsetzung der Strukturreform
für die Zukunft aus? Welchen Grad an Verbindlichkeit haben die
Vereinbarungen?
Jesko: Inzwischen sind die Vorgaben der Bologna-Erklärung im deutschen
Hochschulrahmengesetz verankert. Der Zeitplan sieht vor, dass sie - und
damit die Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge - bis 2010 an
allen Hochschulen umgesetzt sind. In Deutschland speziell wird es wohl
darauf hinauslaufen, dass alle Magister- und Diplomstudiengänge durch die
neuen Bachelor- und Masterstudiengänge ersetzt werden.
basta: Du bist Sprecher der LandesAStenKonferenz. Wie bewerten
Studierendenvertreter die Leitideen der Bologna-Vereinbarung im
Allgemeinen und wie positioniert ihr euch in konkreten Debatten, wie der
zur Einführung des Bachelor/Master-Modells?
Jesko: Grundsätzlich stehen wir natürlich der Idee eines "europäischen
Hochschulraums" positiv gegenüber. Die Vergleichbarkeit von
Studienabschlüssen und eine erhöhte Mobilität - wie ein Auslandsstudium -
sind auf jeden Fall zu begrüßen. Allerdings wehren wir uns gegen
einseitige Interpretationen der Bologna-Erklärung, das heißt gegen
Vorstellungen der Ausgestaltung, die zu einer einseitigen
Leistungsorientierung der Unis führen. Es ist zu befürchten, dass stark
verschulte Studiengänge - wie der Bachelor - in solch einem Konzept nur
wenig Zeit für andere Tätigkeiten oder ein Engagement neben dem Studium
lassen. Des Weiteren wird es zu einer Verkümmerung, sprich Einstellung von
Fächern führen, die sich nicht gut gegenüber dem Markt "verkaufen" lassen.
Zudem haben wir von Anfang mehr Wert auf die "soziale Dimension" legen wollen: Mobilität in Europa wird nur dann auch für schwächer gestellte Studierende möglich sein, wenn gleichzeitig auch finanzielle Förderungsmöglichkeiten verstärkt zur Verfügung stehen. Die gegenwärtige Diskussion um die Einführung von Studiengebühren schließt natürlich auch hier an die Bologna-Debatte an. Aber das ist ein ganz anderes Thema...
basta: Wie stark steht ihr in Bezug auf die Bologna-Vereinbarungen im
Austausch mit weiteren Landes-ASten und Studierendenvertretungen anderer
europäischer Länder?
Jesko: Die ASten sind bundesweit organisiert in ihrem Dachverband dem fzs
(freier zusammenschluß von studentInnenschaften). Es ist wiederum Aufgabe
des fzs sich mit anderen europäischen Studierendenvertretungen und mit
ESIB (National Unions of Students in Europe) auszutauschen. Die Bedeutung
der studentischen Beteiligung am Bologna-Prozess wurde erst auf Drängen
der Studierenden auf der Folgekonferenz der europäischen Bildungsminister
2001 in Prag betont - genauso war es mit den sozialen Aspekten. Insgesamt
muß festgehalten werden, daß ein Einfluß von studentischer Seite auf die
Umsetzung der Bologna Vereinbarung kaum und nur auf unterster Ebene z.B.
bei der Ausgestaltung der Bachelor- und Masterstudiengänge möglich zu sein
scheint. Davon zeugen sowohl der regelrechte Kampf um lediglich die
Teilnahme des fzs an der letzten Konferenz der Bildungsminister vor einer
Woche in Berlin - parallel dazu fand übrigens das erste europäische
Bildungsforum (eef) statt - als auch der allgemein praktizierte Ausschluss
von Studierendenvertretungen auf anderen Ebenen. Das ist fast schon
peinlich für die Entscheidungsträger.
basta: Warum trafen sich nun Vertreter aus Hochschule, Wirtschaft und
Politik zu einer Konferenz in Mannheim?
Jesko: Neben der Bestandsaufnahme der bisherigen Umsetzung des Bologna-
Prozesses, also der Anzahl der umgestellten Studiengänge auf Bachelor zum
Beispiel, sollten Auswirkung der Umsetzung des novellierten
Hochschulrahmengesetzes für Baden Württemberg sowie auf lokaler Ebene
diskutiert werden. Dies geschah in einer Podiumsdiskussion und
verschiedenen Workshops. Neben einem allgemeinen Erfahrungsaustausch stand
ausblickend vor allem die Frage nach möglichst effektiver Umsetzung der
Studienreform.
basta: Kannst du uns ein kurzes Feedback zu den Teilnehmern und zum
Verlauf der Podiumsdiskussion geben?
Jesko: Anwesend waren v.a. Vertreter aus Hochschule und Politik. Bei der
Podiumsdiskussion war ich der einzige studentische Vertreter. Nachdem die
unterschiedlichen Perspektiven auf die Problematik vorgestellt wurden, kam
es vereinzelt zu Diskussionsansätzen. Auf allgemeine Ablehnung stießen die
meines Erachtens völlig utopischen Thesen von Rektor Arndt, der u.a. den
Bachelorabschluss grundsätzlich in die FHs auslagern und nur die dann
elitäre Master-Weiterbildung an den Unis belassen möchte.
basta: Die Diskussion wurde in Workshops, die in Bezugsgruppen
(Studierende, Lehrende, Verwaltung und Arbeitsmarkt) aufgeteilt waren,
weitergeführt. An welchem hast du teilgenommen, welche Ergebnisse konnten
erarbeitet werden?
Jesko: Die vier Workshops mit je 20 bis 30 Teilnehmern wurden jeweils mit
Eingangsreferaten eröffnet. In der Arbeitsgruppe für die Studierenden, die
leider nur in geringer Zahl vertreten waren, hörten wir einen
Erfahrungsbericht aus Bochum. Die dortige Uni hat mit einem bachelor- und
masterähnlichen Studienmodell bereits in den 90er Jahren Erfahrungen
gesammelt. Erwähnenswert ist hierbei das Angebot eines Doppelstudiums von
zwei Bachelorstudiengängen das außerdem mit einem Optionalbereich zur
Vermittlung von sog. Schlüsselqualifikationen ausgestattet ist. Dennoch:
Vergleichbar mit der Offenheit und Vielseitigkeit der bisherigen
Magisterstudiengänge ist auch dann der stark verschulte Bachelor nicht.
Überraschende Ergebnisse lieferte die Gruppe "Arbeitsmarkt" in der
Vertreter aus der Wirtschaft deutlich machten, wie viel von ihrer Seite
aus noch für die Anerkennung der neuen Bachelor- und Masterabschlüsse zu
tun sei, also nach wie vor das Diplom als höherwertig eingeschätzt werde.
Ob diese Unsicherheit auf ein Informationsdefizit oder auf die
konservative Angst vor dem Unbekannten bei gerade denen, die erhöhte
Flexibilität und europäische Harmonisierung der Abschlüsse fordern,
zurückzuführen ist, weiß ich nicht. Rückendeckung erhielten wir dennoch
bei der gemeinsamen Ablehnung jeglicher Zulassungsbeschränkungen für
Masterstudiengänge. Das kann als ein kleiner Erfolg in unserem Sinne
gewertet werden.
basta: Wir bedanken uns für das Gespräch.
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Dieser Artikel wurde zitiert am: 03.01.2004