Folgenden Brief veröffentlichen wir gern -- an ihren Taten mögt
ihr die übrigen Medien, an die das Schreiben ging (ruprecht, RNZ, Unispiegel) erkennen...
Offener Brief an den Rektor der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Sehr geehrter Herr Hommelhoff,
ich will Ihnen meine Geschichte erzählen. Sie handelt von den Erlebnissen
und Eindrücken eines ausländischen Studenten an der Universität Heidelberg
im Lichte der Erschütterungen vom 11.9. Insbesondere handelt sie von der Art
der Kriminalitätsbekämpfung, die zuletzt in der Bundesrepublik gegen die RAF
eingesetzt wurde.
Als ich zum ersten Mal von der Rasterfahndung erfuhr, habe ich mich auf die
Suche nach Informationen gemacht. Ich hatte gute Gründe dafür, anzunehmen,
ich sei von ihr betroffen, und wollte insofern genau wissen, wie die
Rechtslage bzgl. der Rasterfahndung aussieht. Wer genau ist betroffen?
Welche Daten wurden von der Universität ausgeliefert? An welche Behörden?
Wie lange werden sie gespeichert? Wer hat Zugang dazu? Ist die Universität
dazu verpflichtet, mir auf Anfrage mitzuteilen, ob meine Daten ausgeliefert
worden sind? Nach einem enttäuschenden Gespräch mit Herrn Schwarz, dem
Pressesprecher der Universität, bin ich in die Rechtsberatung des
Studentenwerks gegangen. Die Juristin dieser Rechtsberatung ist beim
Stichwort "Rasterfahndung" völlig erschrocken und konnte nichts - in der Tat
absolut nichts (!) - zur Rechtslage sagen. Sie hat sich nicht mal angeboten,
sich diesbezüglich zu informieren. So viel zur Rechtsberatung des
Studentenwerks. Nach dieser zweiten Enttäuschung habe ich mich an das
Akademische Auslandsamt gewendet, das mich zu einem Juristen in der
Zentralen Universitätsverwaltung, Herrn Treiber, geschickt hat. Er wusste
zunächst auch nicht Bescheid, hat sich aber darum bemüht, mir zu helfen. Ich
sollte eine Woche später wieder zu ihm kommen, hieß es. Wenigstens eine
Hoffnung. Inzwischen hatte ich von Teilen der Studentenvertretung erfahren,
dass eine persönliche Anfrage beim Rektorat, ob meine Daten ausgeliefert
worden seien, möglich sei. Insofern habe ich nach meinem Termin bei Herrn
Treiber beim Rektorat angerufen, das mich - sehr dilettantisch und
verwirrt - mehrere Male an falsche Personen in der Universitätsverwaltung
geschickt hat. Beim dritten Anruf wurde ich an die zuständige Person in der
Zentralen Universitätsverwaltung, Herrn Brachmann, weitergeleitet. Ich habe
mit Herrn Brachmann einen Termin abgemacht; er wolle mir die Information
über die Auslieferung meiner Daten geben. Als ich bei ihm erschien, wurde
ich doppelt enttäuscht. Erstens meinte er, dass er mir diese Information
doch nicht geben könne. Zweitens ist beim Termin mit Herrn Brachmann
überraschenderweise Herr Treiber aufgetaucht, quasi als juristischer
Beistand zu Herrn Brachmann, der augenscheinlich über die Rechtslage nicht
besonders gut informiert war. Ich musste feststellen, dass sie alle im
selben Boot saßen und dass Herr Treiber alles andere als eine unabhängige
Quelle sein konnte.
Nun, nach diesen bitteren Begegnungen an meiner eigenen Universität habe ich
erkannt, dass ich eine Rechtsberatung woanders suchen muss. Immerhin kann ja
jede(r) Bürger(in) in der Bundesrepublik, so wurde mir gesagt, beim
Amtsgericht eine kostenlose Rechtsberatung in Anspruch nehmen, wenn er/sie
nachweisen kann, dass er/sie ein nicht zu hohes Einkommen hat. Ich machte
mich also auf den Weg zum Heidelberger Amtsgericht im Glauben, endlich würde
ich über die Rechtslage bzgl. der Rasterfahndung aufgeklärt werden. Im
Amtsgericht gibt es einen einzigen Sachbearbeiter, der für Anträge dieser
Art zuständig ist. Ich habe ihm meine Lage erklärt, woraufhin er lakonisch
meinte, es bestünde "gar kein konkreter Anlass" für die Ausstellung eines
Scheins für eine kostenlose Rechtsberatung in meinem Fall. Sein
Vorgesetzter, mit dem ich dann Kontakt aufnahm, sagte mir, ich müsse eine
formelle Dienstleistungsbeschwerde schreiben, die er dann bearbeiten würde.
An diesem Punkt habe ich aufgegeben, Herr Hommelhoff.
Dass sich die Bundesregierung für diese Art des institutionalisierten
Rassismus, für diesen tatsächlich rassistischen Generalverdacht entschieden
hat, der das grundlegende Prinzip der Rechtsstaatlichkeit umstülpt und die
Beweislast auf die/den Angeklagte(n) verschiebt, kann ich Ihnen natürlich
nicht vorwerfen. Aber: Die Haltung der Universität Heidelberg, die angeblich
stolz ist auf den hohen Anteil ihrer ausländischen Studierenden, hat sich
als völlig unkritisch und konform erwiesen. Sie hat die rassistische
Stigmatisierung der Regierung ohne Einspruch mitgemacht. Sie hat einen Teil
ihrer eigenen Studenten grundlos verdächtigt und sie somit diskriminiert,
ausgegrenzt, stigmatisiert. (Woher nehmen Sie sich das Recht, Herr
Hommelhoff, mich des Terrorismus zu verdächtigen?) Es gab nicht einmal den
Versuch, sich gegen diesen Eingriff zu wehren. Es gab nicht einmal eine
einzige symbolische Handlung, von der ersichtlich wäre, dass diese Fahndung
der Universität unangenehm sei (siehe z.B. die Reaktionen der Universitäten
Bremen sowie der Humboldt-Universität und der Freien Universität in Berlin).
Ich werfe der Universität Heidelberg vor, mitverantwortlich für das Schüren
von rassistischen Ressentiments sowie für ein unangenehmes Klima an der
Universität zu sein. Wenn Sie sich nun für diese affirmative Haltung
entschieden haben, sollten Sie wenigstens ein geringes Maß an Transparenz
erlauben. Die Erlebnisse, die ich machen musste, sind wahrscheinlich nur ein
Beispiel für alles andere als Transparenz, für die unglaubliche Haltung der
Universität gegenüber ihren eigenen ausländischen Studierenden. Ich ging
optimistisch an die Sache heran und wurde zunächst enttäuscht. Dann nochmal
enttäuscht, und nochmal. Und wieder. Am Ende war ich verzweifelt: Jede
Möglichkeit, die ich nur ausschöpfen konnte, hat sich als ein Nichts
erwiesen. Inzwischen, Herr Hommelhoff, bin ich nicht nur enttäuscht und
verzweifelt, sondern richtig wütend. Ich fühle Wut. Wut auf den Rassismus
der Bundesregierung. Wut auf das Sicherheitsbedürfnis und die Angst der
deutschen Gesellschaft vor dem konstruierten Feindbild der "Schläfer". Wut
auf das bewusst konforme und insofern rassistische Verhalten der
Universität, an der ich studiere. Wut auf die Scheinheiligkeit der
Universität, dessen Sprüche über Internationalität und Offenheit sich
inzwischen als bloße Leerformeln entpuppen. Wut auf die Studenten, die die
Rasterfahndung begrüßen. Letzten Endes, Herr Hommelhoff, Wut auf Sie.
Ein Ort der vermeintlich ständigen Offenheit, des freien und lebendigen
Geistes hat sich erwiesen als ein Ort der Ausgrenzung, des kritiklosen,
insofern unfreien und toten Geistes.
Mit freundlichen Grüßen,
(Name der Redaktion bekannt)
Diese Ausführungen bedürfen wohl keines Kommentars. Die Redaktion, die von Rektor und Amtsgericht nichts anderes erwartet hätte, kann sich allerdings die Bemerkung nicht verkneifen, dass der Totalausfall der Studiwerks-Rechtsberatung ein besonders trauriges Armutszeugnis ist, zumal bei einem Thema, das so viele der Sozialbeitrags-ZahlerInnen angeht.