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UNiMUT aktuell: Schuld und Sühne in Studiengebührien

Über Kompetenzzentren und Berufsakademien

Schuld und Sühne in Studiengebührien (14.04.2004)

Das wachsende Land Studiengebührien, in dem Wichtige Entscheidungsträger über große Mengen Geld verfügen, das sie mit raffinierten Plänen weniger wichtigen Nicht-EntscheidungsträgerInnen abnehmen, war nun schon ein paar Mal im Fokus unserer Berichterstattung -- und pünktlich zum neuen Semester ist es mal wieder soweit.

Ein besonders reizender Wichtiger Entscheidungsträger im Lande ist Karl Fischer. Er ist das Mastermind des Logistik-Kompetenzzentrums in Prien am Chiemsee und wird in diesem Jahr über 2 Millionen Euro vom Land (das ist in dem Fall Bayern) und rund 4 Millionen Euro von der EU bekommen. Das ist schön für ihn, denn das sind zusammen immerhin 150000 Verwaltungskostenbeiträge. Leider beabsichtigt Herr Fischer mitnichten, dieses Geld für die nächsten fünf Semester aller Heidelberger Studis einzusetzen. Nein, ihm gehts um den Alpentransit.

Nun wäre kein vernünftiger Mensch im Geringsten traurig, wenn der Wahnsinn der durch die Alpen rollenden Last- und Personenkraftwagen etwas gezähmt würde, und ein naiver Mensch könnte auch auf die Idee kommen, dass Kompetenzzentren irgendwie kompetente Menschen versammeln, die dann auch schlaue Ideen ausbrüten würden. Diese Idee ist schon im Allgemeinen realitätsfern, doch Herrn Fischer im Speziellen als Spross einer traditionsreichen Spedition dürfte noch dazu nur ein minimales Interesse an einer Zähmung der Güterflut bewegen. Mensch muss da auch nicht groß spekulieren, denn er fiel schon 1984 medial auf, als er den während einer Brennerblockade notleidenden Truckern Suppe brachte. Und so kämpft er denn eifrig gegen Brennerbasistunnel, Nachtfahrverbote und Transportquoten, zur Not, indem er wahnwitzige und ohnehin zum Scheitern verurteilte Konzepte zum Schienenverkehr ausbrütet. Für sowas zahlen wir natürlich gerne.

Zum Modus solcher Geldtransfers von Arm zu Rücksichtslos gibt es ja nun schon etliche kreative Modelle mit so tollen Namen wie Studienkonten, Verwaltungsgebühr, Bildungsgutscheine oder -credits. Ein brandneues Modell legt am kommenden Montag die Potsdamer Uni ihrem Studiwerk vor. Dieses soll nämlich den Sozialbeitrag für die ja schon traditionell als Feinde und Schmarotzer ausgemachten "Langzeitstudierenden" von normal 40 auf zunächst auf 55 Euro, für Menschen, die noch länger immatrikuliert sind, gleich auf 100 Euro erhöhen. Auch wenn die Beträge hier noch recht klein sind und keinesfalls reichen, um nennenswert Kompetenzzentren zu finanzieren oder notleidende Speditionsunternehmen zu retten, ist dieser Schritt schon deshalb perfide, weil weniger informierte Studierende nun gänzlich verwirrt werden: Was ist der Sozialbeitrag (gegen den zunächst nichts einzuwenden ist, da er letztlich einem sozialen Ausgleich unter den Studis dient), was sind Studiengebühren, was eine simple Abstrafung? Auf der positiven Seite dürfte bereits ein kurzer Ausflug vor Gericht diesen Unsinn stoppen.

Unser eigenes Studiwerk sammelt schon seit einiger Zeit auf andere Weise Brosamen ein: Werbetafeln schmücken die Mensen und fordern auf, irgendwelche Filme anzugucken oder auch solch ausgewiesenen Humankapitalverwertern wie Boston Consulting oder "Deutsche Post World Net" (eher Deutsche Post by all good ghosts verlassen, d.S.) als Geschäftsgrundlage zu dienen. So weit, so schlecht, etwas zu weit allerdings ist das Studentenwerk wohl gegangen, als es jüngst für die extra gesunden Kippen von Marlboro zu werben begann. "Marlboro Summer Jobbing" wird da "Rauchern ab 18" angedient.

Die Kürzungen des Landes -- gegen die das Studiwerk durchaus etwas mehr hätte machen können -- mögen gewiss Anlass sein, nach neuen Einnahmequellen zu suchen, doch ausgerechnet an den übelsten Vergifterkonzern weltweit, namentlich Philip Morris, der Nestlé mittlerweile wohl locker überholt, hätte mensch sich nun auch nicht verkaufen müssen. Jedoch, in Studiengebührien kauft Geld alles, und wer würde das besser wissen als Philip Morris, deren gut dotierter Forschungspreis mittlerweile -- pecunia non olet -- tatsächlich so viel Renommée gewonnen hat, dass sich die Leute nicht mehr schämen, sich ihn in ihre Lebensläufe zu schreiben.

Ob diese Sorte Steuerungswirkung ihrer "Reformen" den Apologeten von Studiengebühren gefällt oder nicht, wollen wir nicht diskutieren, interessant ist jedoch, dass ihnen nachhaltig der Kamm schwillt, wenn mal andere Gebühren im Gespräch sind. Landesvater Erwin "geh zum" Teufel ließ am 13.4. eine Pressemitteilung verbreiten, in der er beklagt, dass die von der Bundesregierung geplante Ausbildungsplatzabgabe seine geliebten Berufsakademien (a.k.a. "Proletarier gehören nicht an die Uni, sollen aber auch mal was haben") gefährden, weil die Firmen, die ihre MitarbeiterInnen zum Konsum der McBildung schicken, das nicht gegen ihre Ausbildungsverpflichtung verrechnen können. Angeblich findet das auch Michael Jackson total fies und gemein.

Dieser wiederum wird in der Marlboro American Music Hour gespielt, lebt also irgendwo wie unser Studiwerk von der freien Wahl der Zigarettenmarke. Tröstlich ist das zwar nicht, aber Trost ist in Studiengebührien eben eine wertvolle Ware, die bestimmt nicht in einem Artikel wie diesem zu finden sein wird.

Nachtrag (21.4.2004): Der Verwaltungsrat des Studiwerks Potsdam hat die erwähnten Strafgebühren abgelehnt. Wer hätte das gedacht?

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Dieser Artikel wurde zitiert am: 03.05.2005


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Erzeugt am 14.04.2004

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