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UNiMUT im Winterschlaf -- fast alle Inhalte hier sind mindestens fünf Jahre alt und vor allem historisch interessant. Wenn du die Seite magst: Wir lesen unsere Mail noch und helfen dir gerne, den Online-UNiMUT wiederzubeleben. Termine | Der Götze Markt Das Märchen vom freien und gleichen Wettbewerb (14.11.2006)Es gab einmal eine Zeit, in der sich die Menschen sehr von Gott abgewandt hatten. Gott schien das gelassen hinzunehmen. Doch der Teufel freute sich überschwänglich. Endlich konnte er Gott so richtig vor Augen führen, was für ein elendes, verlogenes Pack die Menschen doch waren, dass sie Gott nicht würdig waren, sondern ausschließlich er, der Teufel, ihr gerechter Herr. Der Teufel hatte lange darauf hingearbeitet, die Menschen dazu zu bekommen sich aus freien Stücken zu ihm zu bekennen. Dabei hatten sie jedoch nie merken dürfen, dass er, der Teufel hinter allem steckte. Im Rückblick betrachtet, war es einfacher gewesen als befürchtet. Zuerst unterstützte er Gott bei dessen Bemühungen, den Menschen mehr Verstand einzuhauchen. "Je pense donc je suis." Descart's Ausspruch beschäftigte die Menschen noch über 300 Jahre später. Sollten sie doch denken, diese Menschlein. Solange sie nur das dachten, was er, der Teufel, für richtig hielt. Das hieß, er musste es irgedwie bewerkstelligen, dass die Menschen aufhörten so sehr an der Gottesliebe und der Nächstenliebe festzuhalten. "Gott ist tot." Was für ein Satz! Nietzsche sei Dank! Der Kommunismus schlug diesbezüglich in dieselbe Kerbe, indem er "Religion ist Opium für's Volk!" als Leitlinie für sich beanspruchte. -- Herrlich! Wunderbar! Erstes Problem gelöst. Nun kam das mit der Nächstenliebe dran. Das war schon etwas heikler. Schließlich glaubten die Menschen ja bekanntlich eher das, was sie sahen. Wie sollte er also die Menschen dazu bekommen, für den Nächsten, den sie sahen, kein Mitleid zu empfinden, nachdem Gott ihnen Generationen um Generationen lang die Notwendigkeit von Zusammenhalt und Solidarität eingetrichtert hatte? Irgendwann kam ihm der zündende Gedanke: sie sollten denken, sie hätten keine andere Wahl, als trotz des Gebots der Nächstenliebe sich erst einmal um sich selbst zu kümmern. Dabei sollten sie auch noch denken, sie hätten nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt. Ja, so sollte es sein. Da kam dem Teufel die ganze Wissenschaftsorientierung gerade recht. Er unterstützte diese Entwicklung und freute sich diebisch über die Erfindung der Wirtschaftswissenschaften. Denn diese Wissenschaft war nichts anderes als eine Erfindung. Sie konnte nicht überprüft werden, wie die anderen Naturwissenschaften. Es gab ja schließlich keine ökonomischen Gesetze wie in der Physik das Gesetz der Schwerkraft. Die Schwerkraft konnte man immer und überall egal in wessen Beisein und egal womit feststellen. Die Richtigkeit ökonomischer Gesetze war in bestem Sinne relativ. Hihi. Wie recht Einstein doch mit seiner Formel hatte. Angeblich hätte er ja mit Gott gesprochen. Aber das nur am Rande. Der Teufel freute sich über seine Verschlagenheit. Die Menschen hatten sich so sehr an ihren Verstand geklammert, dass sie gar nicht mehr merkten, dass dieser sie geradewegs zu ihm trieb. Die Gesetzmäßigkeiten des Wettbewerbs -- des freien Wettbewerbs. Und der Teufel setzte noch einen drauf und ließ sagen, des freien und gleichen Wettbewerbs. Zugegebenermaßen hatte Gott bei diesen Gedanken auch seine Finger im Spiel. Das Geniale daran war, dass die positiven Effekte des Wettbewerbs nur unter Ausschluss aller denkbaren Störfaktoren zum Tragen kamen. "Ceteribus paribus"- das war die Zauberformel für geistige Umnachtung auf hohem Niveau. Darüberhinaus sollten den im Wettbewerb konkurrierenden Teilnehmern laut theoretischem Gerüst allen zur gleichen Zeit die selben Informationen zur Verfügung stehen, damit die fundamentalen ökonomischen Freiheitsrechte überhaupt ihre Wirkung entfalten konnten. Was für eine wunderbare Notwendigkeit. So banal, dass die Menschen sie im Alltag ganz einfach übergingen. Stattdessen berechneten zahlreiche Volkswirtschaftler, Finanzexperten und Statistiker in ihren empirischen Studien seitenlang, Tage um Tage, Wochen um Wochen, Jahre und Jahrzehnte, bald Jahrhunderte lang, an welchen Stellschrauben die Chefvolkswirte zu drehen hätten, um dem nächsten genialen Spuk gerecht zu werden: dem stetigen Wirtschaftswachstum. Ach war das schön. Der Teufel konnte sich an diesen Entwicklungen überhaupt nicht satt sehen. Die gebildesten Köpfe weltweit stritten hoch dekoriert und fein angezogen selbst in internationalen Gremien ersten Ranges und vergaßen darüber ganz, dass die Ungleichheit zwar die weltliche Existenz bestimmte, doch durch Liebe hätte überwunden werden können. Jesus hatte recht behalten: "Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme." Gott blieb geduldig. Und solange die Menschen nicht über die Umsetzbarkeit der Nächstenliebe auch in Form von Verteilungspolitik nachdachten, konnte er, der Teufel, ungestört weiter Seelen fangen. Gott sei Dank für dessen Geduld, hihi. |
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Erzeugt am 14.11.2006
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