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Iranische Perspektiven: In Shiraz

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Zielgebiet

Nach rund einer Stunde landen wir auf dem Flughafen Shiraz. Die Gangway hinunter geht es über das von kaltem Wind umwehte Flugfeld ins Gebäude, um an der Passkontrolle anzustehen. Plötzlich drängen zwei Kinder mit Blumensträußen durchs Gatter – sie wollen ihre Verwandten begrüßen, die irgendwo hinter mir sind. Ausgerechnet hier, in dieser Region, wird dieser Ausbruch von Menschlichkeit schlicht und ergreifend einmal zugelassen.

Als ich an der Reihe bin, fällt mir zum ersten Male auf, dass unsere Reisepässe sinnigerweise nur auf deutsch beschriftet sind. Während die meisten europäischen Kollegen sie wahrscheinlich schon anhand der Farbe erkennen, kommt der iranische Beamte nicht klar, fragt seinen jüngeren Untergebenen, der aber auch kein deutsch kann. „Where are you from, Sir?“ ruft der ältere durch das Glas. “Germany – Almanja” biete ich an. „Germany?“ – „Yes!“. Ist in Dortmund, er wollte es nur wissen, hackt es in den PC, gibt mir den Pass zurück, winkt mich freundlich durch. Ich schiebe mein Gepäck durch ein weiteres Röntengerät, auf Zollformalitäten wird verzichtet - und auf der anderen Seite stehen auch schon Ahmad und sein Prof., Dr. Nadgaran.

Letzterer ist ein eher kleiner, drahtiger Mann Ende Vierzig, er wirkt aber sehr diszipliniert, distinguiert – intellektuell. Obschon religiös, war er es, der maßgeblich Ahmads Reisen ermöglicht hat. Wir besteigen Ahmads Fahrzeug, einen kleinen Kia-Kombi, und fahren in die Stadt. Ich erzähle von meiner Reise. Ahmad berichtet mir von dem Stand der Reiseplanung, die er für mich in petto hat. Es ist ihm ein ebensolches Anliegen wir mir selbst, dass ich das Land kennenlerne.

Die erste Woche werde ich in Shiraz verbringen, meine Vorträge halten und mit Ahmads Schülern arbeiten, die unter seiner Betreuung ihre Masterarbeit schreiben – sie entsprechen etwa den deutschen Diplomanden. Ein Ausflug nach Persepolis wird diese Phase auflockern. Dann beginnt, in der zweiten Woche, eine Reise nach Isfahan, nach Kashan, und nach Teheran, wo wir jeweils im Gästehaus der Uni unterkommen werden. Einer der Diplomanden wird mich begleiten, und bei der Gelegenheit mal wieder „rauskommen“, Freunde treffen und mit Kashan eine Stadt besuchen, die er selbst noch nie gesehen hat. Ich werde viele Iraner kennenlernen, ihre Unis besichtigen und damit wesentlich mehr lernen als Standardtouristen hinter den Fenstern ihrer Busse. Meine Laune steigert sich kontinuierlich.

Etwa eine Viertelstunde lag fahren wir durch die Straßen Shiraz’, die mit Lichterketten und Tiergestalten ebenfalls aus Glühbirnen geschmückt ist. Im hiesigen Kalender haben wir den zweiten Monat des Winters, Bahman genannt, dessen 22. der Tag der islamischen Revolution ist. Schließlich langen wir am Gästehauskomplex der Universität Shiraz an. Hinter einer Einfahrt, durch ein Wachlokal mit bewaffneten Posten geschützt, liegt ein recht weitläufiges Areal, das z.B. auch einen Tennisplatz beinhaltet. Hinter einem gekachelten Platz mit Brunnen darin liegt ein Foyer, eigentlich eine Halle, von der aus Treppen in eine weitere Halle im ersten Stock führen. Messen und Ausstellungen finden hier statt. Ein überdachter Gang führt durch einen Garten, der mit Nârandj-Bäumen bestanden ist, kleinen Früchten, den Orangen ähnlich, aber eben kleiner und etwas bitterer. Ein Perserteppich bedeckt den Boden. Dahinter beginnt der neugebaute Gästezimmerkomplex; die würfelförmigen Zimmer, durch einen mit gerahmten Photos lokaler Sehenswürdigkeiten geschmückten Zickzackkorridor miteinander verbunden, liegen versetzt aneinander, eine große Fensterfront öffnet den Blick in den Garten. Eines der ersten wird mir zugewiesen. Drei Betten habe ich zur Auswahl, einen mächtigen Heizlüfter, eine Garderobe, Sessel, Nachtisch, Fernseher, Sekretär. Das Bad ist klein, aber voll ausgestattet; die Toilette ist nach iranischer Art in den Boden eingelassen. Alles funktioniert, es ist warm und freundlich. Im Kühlschrank steht Eiswasser bereit.

Ahmad und sein Professor wünschen mir gute Nacht. Wir vereinbaren, dass ich am Morgen gegen acht abgeholt werde. Nun allein, packe ich aus, hole ein paar Aufsätze heraus, die ich den Leuten noch mitgebracht habe, lege für Morgen gute Hose, Hemd, Jackett bereit - Krawatte ist unüblich - dusche und lege mich hin. In diesem Moment trifft mich die Endorphinbreitseite. Ich werde dieses Ding tatsächlich durchziehen, bin vor Ort und werde auf Einladung Vorträge an der Universität von Shiraz im Iran halten. Irgendwie ist so etwas gut für’s Ego. Lächelnd schlafe ich ein.

Motivation

Am nächsten Morgen weckt mich das durchdringende Piepsen meiner Uhr; ich kleide mich an und gehe in den großen Frühstücksraum. Es ist wenig Betrieb im Komplex, erst nach einigen Minuten setzen sich zwei Einheimische an einen Nebentisch. Der Pedell bringt das Frühstück: frisches Fladenbrot, Butter, Schafskäse, Honig und der Tee, brühend heiß, in einem kleinen Plastikbecher, den ich nur am Rande anfassen kann. Ein Zuckerstück zwischen die Zähne zu klemmen, und durch dieses hindurch zu trinken, das habe ich bis zuletzt nicht recht hinbekommen, also wandert es in den Becher, wo es sich rapide auflöst. Der Tee ist köstlich, als Tee-Fan bin ich hier gut aufgehoben.

Pünktlich holt mich Ahmad ab, bringt mich zum Physikinstitut. Die beiden schräg einander gegenüberliegenden Gebäude sind etwa aus den Fünfzigern. Die Universität Shiraz beherbergt zusammen mit der Shiraz University of Medical Sciences etwas über 20000 Studierenden, etwas weniger als die Uni Heidelberg. Im Hang der Berge, die Shiraz einrahmen, wird gerade neu gebaut, und die meisten anderen Fachbereiche haben bereits Quartier bezogen. Erstes Ziel ist das Labor. Wir passieren den mannshohen Zaun mit dem Wachhäuschen, parken auf dem Parkplatz und gehen ins Gebäude.

Im Erdgeschoss steht das Laserlabor. Es beherbergt Standardlaser, etwa Helium-Neon- und Neon-Argon-Geräte, mit einigen wenigen Watt Output. Sie stammen zumeist von der russischen Firma „LAVR“. Manche laufen, andere nicht. Es gibt zur Zeit keine konkreten Pläne für ihren weiteren Einsatz. Ganz oben auf dem dreistöckigen Bau befindet sich ein penthouseähnlicher Aufsatz, den Ahmad und seine Leute zur Beobachtungskanzel umgebaut haben. Die Ausstattung experimental-wissenschaftlicher Labors ist eine der wenigen globalen Konstanten: Je nach Größe Tisch und gebrauchte Stühle; ein Wandregal mit einem Kunterbunt an Büchern, CDs, Kugelschreibern, Gerätebroschüren, Handbüchern; PCs, Drucker; Witzzeichnungen im Stil von Gary Larson an den Wänden. Dazwischen eine Keksrolle, eine Getränkeflasche.

Die Hardware steht auf der rechten Seite des Raums. Ein schweres LIDAR-Gerät besagter Firma ERIDAN, das einen Laserstrahl in den Himmel feuert, um anhand der Rückstreuung Informationen über Aerosole zu erhalten, steht im Vordergrund. Dahiner, an der Wand, hinter einem Fenster, steht ein Langpfadgerät derselben Marke. Ein solches gehört zum Standardgerät einer DOAS-Gruppe. Das Licht einer Bogenlampe, die auch UV-Licht durch den Quarzkolben emittiert, wird in einem Teleskop kollimiert und auf einen Retroreflektor gerichtet. Dieser ist eine größere Ausgabe der kleinen von z.B. Fahrradreflektoren bekannten Facetten und, in diesem Falle einzeln und in knapp 200 m Entfernung an einem im Blickfeld befindlichen Gebäude montiert, das Vorlesungsgebäude des Institutes. Der Sichtstrahl verläuft in 17 Metern Höhe über die stark befahrene Straße, und die Abgase absorbieren das Licht auf jeweils individuellen Wellenlängen. Aus der Absorption lässt sich auf die gemittelte Konzentration des Spurenstoffes schließen.

Es gibt genug zu messen in Shiraz sowie in den anderen Ballungszentren. Die Bevölkerung von Shiraz beträgt rund zwei Millionen, die von Isfahan vier, die von Teheran 12-15. Die Verstädterung schreitet voran, damit nimmt der Individualverkehr stetig zu. Eine U-Bahn wird in Shiraz gerade gebaut, die Busse gelten selbst lokal als unzuverlässig. Die meisten Fahrzeuge sind vom unteren Peugeot-Kaliber; an verschiedenen Standorten wird die lokale Marke „Paykan“ produziert, und die etwas gehobenere „Samand“, erhältlich für umgerechnet 5000-6000 respektive 10000-11000 Euro.

Ferner produzieren Peugeot und fernöstliche Marken wie Kia im Lande. Die Hersteller verstehen sich untereinander recht gut - zuweilen wird ein Fahrzeug, z.B. ein Paykan, mit dem Motor einer anderen Marke versehen und als Neuentwicklung angepriesen. Gehobenere Marken, wie etwa BMW, sieht man sehr selten. Sie werden von Leuten gekauft, die so reich sind, dass ihnen nicht auffällt, dass sie das Doppelte oder Dreifache dessen bezahlen, was umgerechnet im Westen fällig ist. Die Gewinnmargen meines Verlages sind deutlich kleiner, und ich habe nicht vor, die Branche zu wechseln.

Der Verkehr ist vergleichbar mit dem so mancher italienischen Städte. Ampeln werden zwar beachtet, ansonsten haben die Verkehrsregeln einen eher theoretischen Anspruch. Wild durcheinander fluten die Autos über Linien und Kreuzungen. Das Überqueren der Straße ist gefährlich. Abstand und Geschwindigkeit abschätzend, arbeitet man sich schnell und so entschlossen wie möglich von Spur zu Spur vor. Die Zahl der Verkehrstoten ist hoch. Die Bereitschaft, für Fußgänger anzuhalten, schreibt mein „Lonely Planet“ von 1997, ist direkt proportional der Zahl der bewaffneten Polizisten in Schussweite.

Wie bereits erwähnt, resultiert daraus eine Luftverschmutzung, die bereits gesundheitliche Auswirkungen zeitigt. Die Regierung beginnt zu handeln. Darum ist es möglich, etwas Finanzierung für Ahmads Initiative zu erhalten, sowie die Mitwirkung der Umweltbehörde. Sie leiht der AG gelegentlich einen kleinen Trailer eines britischen Herstellers aus, der Gasanalysatoren enthält. Sie saugen Luft aus der unmittelbaren Umgebung an und ermitteln die Konzentration von NO2, SO2 und Ozon durch teils chemische, teils optische Verfahren. Steht der Trailer an der Straße, so ergeben sich aus der gleichzeitigen Messung der Belastung direkt vor Ort und der über den Lichtweg in der Höhe gemittelten Aussagen zum Transport und zu Reaktionen der Einzelgase untereinander.

Nachdem Ahmad mir die Geräte gezeigt hat, klopft es, und nacheinander treten Amir und Aboozar ein, die beiden Master-Kandidaten, die bei Ahmad ihre Abschlussarbeit verfassen. Amir, der in sechs Monaten abgeben will, konzentriert sich auf besagte Langpfadmessungen, Aboozar, kurz Abe, der noch den größten Teil seiner bis zu zwei Jahre währenden Arbeit vor sich hat, will sich um Streulicht-DOAS kümmern. Meine ehemalige AG steigt zunehmend auf einfacher zu handhabende  Streulichtgeräte um, da die Modellierung der komplizierteren Lichtwege inzwischen realisierbar ist und Aussagen auch für höhere Luftschichten erlaubt. Allerdings ist das Budget limitiert, deswegen wollte sich Ahmad erst über die genauen Möglichkeiten und Kosten informieren. Dem sollen meine Vorträge und meine Kontakte dienen.

Kurz vor zehn verlassen wir gemeinsam das Labor und gehen durch eine Unterführung zum anderen Gebäude, dessen Außenwand das Konterfei des Religionsführers ziert. Im Inneren findet sich im 2. OG ein kleiner Innengarten, daneben eine Teeküche. Der Hörsaal ist ein größerer Seminarraum mit Sesseln für etwa fünfzig Personen, der sich gut zur Hälfte füllt – es sind Semesterferien, und das Thema ist recht speziell. Der Vortrag ist für elf Uhr angesetzt. Auf dem quer zur Tafel stehenden Tisch liegt ein Koran. Bei Kursvorlesungen werden zuvor einige Verse zitiert, um das Wohlwollen Allahs zu invozieren.

Beamer und Notebook sind schnell zusammengesteckt, und ich lege los. Nach dem etwa einstündigen Vortrag werden Kuchen und Tee für die Diskussion gebracht. Das Gespräch dreht sich primär um den Vortrag, aber auch um die Themen, die von der europäischen geophysikalischen Union behandelt werden, zu denen die Kollegen hier wesentlich schwerer kommen als etwa die in Heidelberg. Viele Fragen beziehen sich auf Auslandsaufenthalte, speziell solche in der BRD.

Danach bringt Abe mich zu einem Hotelrestaurant einige Minuten die Straße hinunter, dafür nehmen wir ein Taxi. Es gibt zwei Sorten Taxis, die Individualtaxis und die geteilten. Letztere fahren die großen Verkehrsadern einer Stadt hinauf und hinunter. An den Adern liegen populäre Zielpunkte wie Plätze und Gebäude, die bekannt sein müssen. Man stellt sich an die Straße, wartet, bis eines vorüberfährt, und brüllt durch das offene Seitenfenster den Ort, der dem eigentlichen Ziel am nächsten liegt, gegebenenfalles den Ort, von wo aus man das zweite oder dritte Taxi zu nehmen plant. Fährt der Fahrer in diese Richtung, hält er, und man steigt ein. Bis zu fünf Gäste kann ein Taxi mitnehmen, zwei zwängen sich dann zusammen auf den Vordersitz, freilich nicht gerade verschiedenen Geschlechtes. Auf der Rückbank kann es gemischt zugehen, Iraner sind pragmatisch.

Nach wenigen Minuten halten wir, und mein erstes iranisches Mittagessen steht bevor. Es gibt Kebab, also koscher geschlachtetes Fleisch vom Rind, dazu Reis, Tomaten. Von einer Salatbar kann man sich mit weiteren Beilagen bedienen, als da wären z.B. Salate, Thunfisch und Halva, die popluläre Nachspeise, senfgelb, von honigartiger Konsistenz und köstlich. Zu trinken wähle ich Dough, das Joghurtgetränk. Es wird durch Mischen sauren Joghurts mit Wasser produziert und ist ungemein erfrischend. Nicht alle Touristen vertragen es, aber mein Magen ist da recht robust. Wir zahlen, für zwei Personen umgerechnet 5-10 Euro je nach Stadt, Lage und Qualität des Restaurants.

Zurück gehen wir zu Fuß, an Mauern entlang, die von zahlreichen, durchaus ordentlichen Graffitis verziert ist. Es handelt sich um Teenager, die sich einen Spass machen, Werbung von Taxiunternehmen, die ihre Telephonnummern aufsprühen, sowie politische Gruppen, wie z.B. „Basij“, welche brav die Regierungspolitik unterstützt. Als wir ins Labor zurückkehren, hat Amir mein Geld umgetauscht. Etwa 300 Euro hatte ich als Reisekasse mitgebracht, zuzüglich hundert US-Dollar als Reserve.  Die Euro ergeben gut 300000 Tumans, ein Tuman sind 10 Rials. Da die Rials meistens als 10000er-Scheine in Umlauf sind, ergeben sich dicke Backsteine an Bündeln, darum hat er 200 Euro in etwas handlichere Reisechecks umgetauscht. Westliche Reiseschecks, ebenso wie Kreditkarten, bringen wenig weiter – es gibt soviel Betrug, dass niemand sie annimmt. Für westliche Standards sind die Lebenshaltungskosten hier nicht hoch - Für hiesige schon.  In manchen Teilen von Shiraz sind etwa die Kosten für den Kauf eines Hauses in weniger als einem Jahr um 100% gestiegen. Wenigstens nahe der Universität ist es weniger dramatisch.

Wir fahren den PC hoch, was bei einem 333er Prozessor und Windows XP eine geraume Weile dauert, und ich checke übers Web meine Email. Die Softwareausstattung ist mehr als gut – da es im Iran kein Copyright gibt, ist professionalle Software von Microsoft und Consorten für wenige Euro erhältlich. Dann widmen wir uns der Wissenschaft, betrachten und diskutieren die bisherigen Meßergebnisse.

Freizeitbetrieb

Gegen vier Uhr machen wir Schluss und begeben uns auf die erste Sightseeing-Tour. Erstes Ziel ist das Grabmal von Hafez, einem der beiden berühmten Dichter aus Shiraz, verstorben 1389. Nach einer Viertelstunde Fahrt in Ahmads Kia sind wir da und parken. Eine Mauer umfriedet den Komplex, dahinter erstreckt sich eine Gartenanlage. Durch eine hohe Pergola hindurch sehen wir das 1953 erbaute Grabmal, eine auf Pfeilern ruhende Kuppel. Darunter steht der mamorne Sarkophag, mit Versen seiner Werke versehen. Viele ältere Einheimische besuchen solche Orte wie einen religiösen Wallfahrtsort. Die Kuppel ist reich geschmückt mit einem Mosaikmuster; nichts Figürliches ist zu sehen, zur Zeit der Errichtung war die Stimmung eher religiös, verbot wie heute die Darstellung Seiner Schöpfung.

Wir wandern durch den Garten, der von Liebespaaren zum Flanieren genutzt wird, und lassen uns im kleinen Teehaus nieder. Shiraz ist als typische Universitätsstadt recht tolerant in Bezug auf Dinge, die de jure verboten sind. Dazu gehört eine Menge; physischen Kontakt zu Mitgliedern des anderen Geschlechtes habe ich bereits erwähnt. Das Hören westlicher Popmusik ebenso, und für Frauen das Zeigen von Haar. Das Verschleiern wird hier jedoch zunehmend lax gehandhabt.

Gerade junge Universitätsangehörige mögen ihr Land – aber nicht ihre Führung. Die Parlamentsmehrheit der Konservativen darf nicht überbewertet werden, das letzte Wahlergebnis ist eine Bestrafung der Reformkräfte für logistisches Versagen unter anderem nach dem Bam-Erdbeben. Was die Reformen angeht, so scheiterte alles wesentliche an den Befugnissen des Wächterrates, gegen den jeder Regierungschef hier völlig machtlos ist. Danach macht es also für die Freiheiten, oder eben Unfreiheiten, des täglichen Lebens wenig Unterschied, wer regiert.

Ebenso wie in der DDR haben sich nun, hier mehr, andernorts weniger, die Leute ihr Leben mit kleinen Freiheiten eingerichtet, hauptsächlich in ihrem privaten, häuslichen Bereich. Außerhalb sieht man das Aufbegehren an der Kleidung der Frauen. Einige sind sehr religiös, und folgen freiwillig dem Reglement; es wird ein Chador getragen, ein großes, schwarzes, gefaltetes Tuch, der Nonnentracht nicht unähnlich. Bei jüngeren religiösen Frauen populärer, weil praktischer, ist eine Art Überwurf, die Magna’e. Sie ist meist schwarz, reicht bis zur Brusthöhe hinunter und beinhaltet oben eine Kapuze, die bis über die Stirn geht, das Gesicht freilässt und die Haare bedeckt.

Keinswegs sind diese Frauen darum dämlich oder weniger kommunikativ. Ich werde welche kennenlernen, mit ihnen sprechen. Zwänge man sie aus wahltaktischen Gründen per Gesetz, das Kopftuch abzunehmen, wäre es, als nötige man eine gläubige Christin dazu, etwa Gott zu lästern. Am unteren Ende der Skala liegen einfache Kopftücher oder Schals, die auf Halbmast hängen, vom Kinn aus gerade über die Ohren laufen, den Haaransatz sichtbar lassend. Oft müssen sie nachfassen, um das völlige Herunterrutschen zu verhindern.

Wie hierzulande nimmt die Religiosität mit der Zeit ab, das heißt augenblicklich mit dem Alter der Personen zu, und ist auf dem Lande stärker ausgeprägt als im urbanen Bereich. Würden die Sicherheitsbehörden, also Polizei und innere Nachrichtendienste, jede Frau anhalten und verhaften, die sich lax verschleiert, kämen sie zu nichts anderem mehr. Dennoch beinhalten diese Freiheiten Gefahren, ebenso wie kritische Äußerungen. An jedem Nebentisch kann ein Spitzel etwa des Kommittes, der religiösen Gedankenpolizei sitzen. Die Dienste sind personell gut aufgestellt.

Ahmad drückt es so aus: Alles ist erlaubt – und zugleich nicht erlaubt. Das erzeugt einen ständigen Druck, sich zumindest grosso modo systemkonform zu verhalten. Fiele jemand unangenehm auf, etwa durch Aktivitäten oder Äußerungen, so wäre rasch eine Akte mit kleinen Verstößen zusammen, die Verhaftung und Strafen legitimieren könnten. Kurioserweise, so Ahmad, werden besonders religiös motivierte Gruppen etwa an der Universität unter die stattliche Lupe genommen – denn sie agieren just auf dem Feld, von welchem die Führung ihre Autorität ableitet.

Nach dem Teehaus fahren wir zum Grabmal von Cherag, einem weiteren Dichter, dessen letzte Behausung in den Berghang gehauen ist. Es ist schon gegen Abend. Wir steigen den Weg hinauf. Die sinkende Sonne bescheint die rötlichen Berghänge gegenüber. Einsam steht ein kleines Gebäude mit Kuppel auf dem Kamm. Es ist ein Signalposten, von dem aus durch Entzünden eines Feuers die Stadt vor Invasionskräften gewarnt wurde.

Die Stadt erstreckt sich zwischen den Bergketten, eine 1D-Stadt, wie Ahmad sie nennt. Zum Westen hin steht das historische Tor der Stadt, mit einer geräumig aussehenden Kammer über dem Torbogen. Diese beherbergte früher einen Koran. Es bringt Glück, vor dem Beginn einer Reise unter dem Heiligen Buch hindurch zu gehen oder zu fahren. Der Koran liegt indes jetzt in einem Museum, und der Verkehr ist um das Tor herumgeleitet – die Abgase taten ihm nicht sonderlich gut. Diese werden wahrscheinlich auch nicht durch verstärkten Tourismus zurückgehen.

An unserem Hang besichtigen wir einige Felsgravuren, z.B. einen Ritter auf einem Pferd. Nach dem Helm zu urteilen stammt die Zeichnung aus er Gajarenzeit vor 200-300 Jahren. Zu anderen Zeiten waren so figürliche Darstellungen verboten.

Nebenan, an „unserem“ Hang, wird ein gewaltiges Hotel in den Fels gehauen, nicht schön, aber imposant. In anderen Städten gibt es ähnliche Anstrengungen, man hofft auf Devisen für die unter Handelsbeschränkungen leidenden, noch immer durch den ersten Golfkrieg geschwächte Wirtschaft. Ob das Unterfangen gelingt, ist offen, etwa werden alle Touristinnen Kopftuch tragen müssen. Ebenso werden sich viele an den zahlreichen großformatigen Bildern des Religionsführers stören, und an ebensogroßen Tafeln, die vor martialischem Hintergrund Kriegshelden des ersten Golfkrieges zeigen.

Das Hotel ist nicht die einzige Baustelle. Bei der Fahrt durch die Stadt finden wir an jeder Ecke ein Baugerüst, eine Ruine, ein vom Abrissschutt geräumtes Grundstück. Ahmad erzählt, dauernd werde neu gebaut in der Stadt, schon seit 25 Jahren. Shiraz sei, so schließt er mit seinem traurig-trockenen Humor, eine dynamische Stadt. Wir wandern ein wenig in der zusehends kühleren Abendluft, betrachten die Felsgravuren, in diesem Fall einen figürlichen Reiter, dieses Werk ist älteren Datums.

Gegen sieben begeben wir uns wieder ins Fahrzeug. Wir fahren kurz bei einem Geschäft namens „Buchpalast“ vorbei, wo Ahmad mir ein Buch mit Gedichten des Hafez kauft, die jeweils auch in englischer Sprache abgedruckt sind. Ahmad lädt Abe und mich in der Innenstadt ab, wo uns Amir aufsammelt, der mit dem Abendprogramm betraut wurde. Aus seinem Kassettendeck dröhnt aktuelle Popmusik durch das Fahrzeug, in diesem Fall z.B. Anastacias „Left outside alone“. Er fährt einen neueren Wagen, auch seine Mutter arbeitet als Dozentin an der Uni.

Sein Englisch ist besser als Abes und Ahmads. Etwa 20% der Bevölkerung des Iran sind des Englischen mächtig, wie zu erwarten eher die jüngeren. Es gibt keinen Sprachunterricht an öffentlichen Schulen, man muss auf bezahlte Privatschulen oder ebenfalls bezahlte Schulen im öffentlichen System ausweichen. Dies führt prompt dazu, dass nur oberhalb der Mittelschicht Sprachkenntnisse vorhanden sind. Je näher am Bildungsbürgertum das Elternhaus angesiedelt ist, desto mehr generelle Kommunikativität und Selbstbewusstsein sind vorhanden, gerade gegenüber Fremden. Tja, wahrscheinlich  finden Amir und ich deswegen so rasch einen Draht zueinander.

Während Abe und Ahmad mir sofort Vertrauen geschenkt haben, möchte jedoch Amir mich erst einmal testen. Zu seinem Selbstbewusstsein tritt ein gewisses Nationalbewusstsein, welches sich keineswegs auf Zustimmung zur Staatsführung erstreckt, aber einen gewissen Stolz auf die Kultur Persiens beinhaltet, sowie auf den technisch-wissenschaftlichen Entwicklungsstand des jetzigen Iran. Er fragt mich ohne Umschweife, welche Art von Abendessen ich möchte. Natürlich wähle ich iranisches - erster Test bestanden. Als wir bei Tisch sitzen, fragt er mich, wieder keineswegs unhöflich, aber direkt, mir nach vorn gelehnt ins Gesicht blickend, was ich vom Iran halte. Ich teile ihm mit, was ich bisher gelernt habe. Auf seine Frage, was ich beim Herkommen erwartet hatte, antworte ich wahrheitsgemäß, ich hätte mir keinerlei Bild gemacht, sondern einfach gewartet, was auf mich zukommt. Wäre ich allzu voreingenommen, wäre ich wohl kaum dort. Das Argument überzeugt ihn, der Eisschutzpanzer wird abgeworfen. Es mag ein wenig ungewöhnlich anmuten, von einem gut fünf Jahre Jüngeren so befragt zu werden, aber ich habe keine Lust zu kneifen. Allerdings lasse ich es mir auch nicht nehmen, in gleicher harter Währung zurückzuzahlen, und ihn zu fragen, was er denn von Deutschland halte? Er meint, die BRD sei ein sehr starker, mächtiger Staat, der eine stärkere Rolle international spielen sollte. Aber es gebe, so habe er gehört, Probleme mit Rechtsextremismus. Ich erläutere ihm sachlich, welches diese sind, welchen Einfluss entsprechende Parteien haben etc., und überlasse ihm die Bewertung der Fakten. Er erklärt mir die Motivation für seine Fragen. Er befürchtet, viele im Westen hätten ein verzerrtes Bild des Iran, vermittelt durch einseitige Medienberichterstattung. Nach seinem Eindruck besteht der Iran in den Köpfen der Wessis mehr oder weniger aus Wüste, verfallenen Häusern, Mullahs und Nuklearwaffen. Das schmerzt ihn, und er möchte diesen Eindruck korrigieren, bei mir selbst und bei denen, denen ich später von meiner Reise erzählen werde.

Amirs Haltung ist exemplarisch, ich werde sie bei vielen seiner und höherer Altersgruppen sehen, die ich kennenlernen werde. Dabei ist er durchaus ehrlich; als wir auf die iranische Justiz kommen, erläutert er, sie sei im wesentlichen käuflich. Selbst bei Mord könne man sich durch Bestechung freikaufen. Wieviel denn ein Mord kostet, frage ich. In seiner staubtrockenen Art erwidert er, das hänge davon ab, wen man umniete.

Dann gehen wir zu harmloseren Themen über, die Physiker bei Tisch besprechen, Abe schaltet sich ein, und der Abend klingt aus. Den Dough findet Amir enttäuschend weil zu dünn, er wolle mir richtigen besorgen. Nach dem Essen fahren wir bei einem Lebensmittelgeschäft vorbei, besorgen welchen, nebst Brot und Butter für ein Frühstück. Denn die nächsten Tage wird die Mensa des Gästehauses geschlossen sein, da im Foyer eine Landwirtschaftsausstellung stattfindet und Lagerraum gebraucht wird. Wir bringen die Sachen zu mir. Abe fährt heim, Amir bleibt und klappt sein Notebook auf. Wir begutachten und diskutieren noch ein wenig die Ergebnisse der letzten Vergleichsmessungen des Langpfadgerät und des Analysatortrailers, dann wünschen wir uns eine gute Nacht.

Typische Umweltphysik

Am nächsten Morgen holt Amir mich um 8.00 ab, wegen des langen Ausschlafens werde ich mich an diesen Trip generell nicht erinnern. Mein zweiter Vortrag beginnt um neun, danach wieder Diskussion, Mittagessen, und Weiterarbeit im Labor. Das russische Gerät ist, was wir eine „Black Box“ nennen, das heißt, man schaltet es ein, und es kommen fertig berechnete Konzentrationswerte heraus, ohne dass wir durch Einsehen von Zwischenergebnissen die genauen Rechnungen verfolgen, kontrollieren, gar beeinflussen können. Die Ergebnisse sehen sinnvoll aus, aber DOAS-Auswertungen sind eine komplizierte Angelegenheit, und Wissenschaftler möchten gern wissen, was sie tun.

Angestellte von ERIDAN waren im letzten Herbst hier, um das Gerät aufzubauen und in Betrieb zu nehmen. Auf Fragen bzgl. der Algorithmen und Rechnungen aber wichen sie stets aus. Ahmad und seine Leute führen das auf eine russische Geheimhaltungsmentalität zurück.

Das LIDAR-Gerät läuft noch überhaupt nicht, die Firma hat noch nicht einmal die Steuersoftware geliefert. Die Gruppe stimmt meiner Ansicht zu, dass dieser Zustand unbefriedigend ist. Ich rate ihnen, den Umgang mit einem der in „meinem“ Institut verwendeten Programme zu lernen, die wesentlich mehr Einfluss auf die Messungen und Rechnungen erlauben. Exemplarisch könnten Auswertungen nachvollzogen und mit denen des Eridan-Geräts verglichen werden.  

Mit einem Jeep des Instituts fahren wir zur lokalen Dependence der Umweltbehörde, um den besagten Trailer abzuholen. In deren Hof angekommen, stellen wir fest, dass die Anhängekupplung fehlt. Nach längerem Herumwuchten und Herumprobieren können wir Hänger und Jeep mit einem Stahlkabel koppeln. Im Schrittempo verlässt das Gespann den Hof, prompt macht sich das Stützrad des Hängers selbstständig, es wird mit einem Lappen festgezurrt, dann geht es weiter. Amir und Abe sitzen in der geöffneten Heckklappe des Jeep und passen auf, dass in dem verärgert hupenden Verkehr die Verbindung hält. Den Jungs ist das etwas peinlich, sie denken schon wieder, einen schlechten Eindruck zu hinterlassen, weil in meinem Land so etwas nie passiere. Ich kann sie beruhigen, und wir alle grinsen uns eins.

Wir positionieren den Hänger auf dem Parkplatz, schließen die Geräte an. Leider haben wir noch keinen Saft, darum wird sich Amir mit seinen Verbindungen kümmern.

Schätze Persiens

Gegen vier machen wir Feierabend und Abe, Amir und ich ziehen los; Abe bringt kurz seiner Nichte im Krankenhaus Blumen vorbei, dann holen wir Rodabeh ab, kurz Rodi, Amirs Freundin. Sie hat sich schon im Verlauf des Tages mit diversen SMS an sein Handy bemerkbar gemacht. Nur 10-15% der jungen Frauen, auch der weniger religiösen, gehen allein aus. Sie sitzen daheim, darauf wartend, dass Freunde oder ihr Freund sie abholen und ausführen. Vielleicht ist es die Erziehung, vielleicht Sorge um die Reaktion der Nachbarn.

Wir gehen in den Garten Eram, einen der berühmtesten Persiens. Ein Areal von meheren Hektar bedeckend, ist er sehr alt, beherbergt eine Vielzahl von Bäumen und Blumen. Ursprünglich dem Schah für sein Ergötzen dienend, deuten nun kleine Schilder in der Erde darauf hin, dass der Garten von der Uni als botanischer Garten verwendet wird. Glastafeln, zweisprachig, erzählen von der Geschichte des Gartens und des Zentralgebäudes darin. Wir wandern eine Zeitlang, gehen am Steingarten vorbei, an einer Zypressenart namens Sarvenoz, deren hiesige Exemplare die größten des Landes sind, und an Blumenfeldern. Jetzt ist Winter, viel ist nicht zu sehen. Aber dennoch ist der Garten imposant, beeindruckend. Im Mai blühen die Blumen, und dann, so wird mir versichert, wird die Pracht überwältigend sein. Ein erster Grund, wiederzukommen.

Auf dem Berghang, von dem flachen, unbebauten Gelände aus gut zu sehen, erhebt sich eine weitere Baustelle. Ein mächtiges Gebäude entsteht dort, fünfstöckig, mit mehreren langen Flügeln. Es sieht ein wenig aus wie eine der Festungen, die James Bond am Ende seiner schlechteren Filme immer in die Luft jagen muss, und stellt sich auf meine Nachfrage hin als ein neues Studierendenwohnheim heraus, mit getrennten Flügeln für Männer und Frauen, alles comme il faut. Es ist durchaus Geld vorhanden in diesem Land. Korruption und Missmanagement sind für Probleme der Städteplanung und der Infrastruktur verantwortlich, die indes wesentlich besser ist als gemeinhin vermutet.

Das nächste Ziel ist der Bazaar. Amir parkt in einer nahen Straße, die wir das letzte Stück entlanggehen. Eine Filiale der Melli-Bank, neben z.B. der Central Bank eine der großen Bankenketten des Landes, erhebt sich neben uns. Mannshohe, dicke Metallröhren säumen die Straße. Es sind Lüftungsöffnungen zu einer unter uns verlaufenden unterirdischen Schnellstraße, deren Schadstoffbelastung dennoch den gesundheitsgefährdenden Bereich erreicht hat. Wir überqueren einen Platz, der bereits von Geschäften mit traditioneller Ton- und Textilware gesäumt ist. Auch ein Teppichgeschäft findet sich. Endlich stehen wir vor dem Eingang des Bazaars. Keineswegs nur für Touristen gedacht, kaufen hier Leute aus dem ländlichen Umland für ihren Bedarf der nächsten Monate, es herrscht reger Betrieb iranischer Kunden. Abe und Amir raten mir, nichts selbst zu kaufen. In iranischen Geschäften wird von Touristen das drei- bis vierfache des Preises verlangt, der von Einheimischen zu entrichten ist – Touristen gelten als notorisch wohlhabend, und die Händler sind es definitiv nicht. Hingegen soll ich jeweils den Jungs bescheid sagen, und sie kaufen es an meiner Statt.

Wir gehen los, bummeln, schauen. An einem malerischen Gewürzgeschäft kommen wir vorbei. Abe zeigt mir das grüne Gewürz, das auf Dough gestreut wird, und die bunte Gewürzmischung, die für Reis und Kebab verwendet wird. Wir finden auch Kupfer, Silber, und die bedruckten Baumwolldecken, die für die Bazaare hier typisch sind. Ältere Männer tragen kleine Käfige mit sehr zahmen Kanarienvögeln oder Sittichen herum. Gegen 200 Tumans, etwa 16 Cent, klettert das Tier aus dem Käfig über Herrchens Hand und zupft mit dem Schnabel einen kleinen Zettel aus einem Kasten. Dieser enthält Verse eines Dichters, oder aus dem Heiligen Buch. Der Kunde hat sich zuvor eine Fragestellung etwa über seine berufliche oder private Zukunft überlegt, und darf dann versuchen, aus den Versen eine Antwort herauszuorakeln. Viele Geschäfte bieten ein Brettspiel namens Takteh Nard an, das dem Backgammon ähnlich ist. Dolche sind auch nicht selten, sie gelten als Symbol der Männlichkeit.

Wir treten durch einen weiteren Torbogen des verzweigten Komplexes und stehen auf einem Innenhof mit einem quaderförmigen Pool in der Mitte. Amir erklärt mir, dieser Bazaar sei früher ein Karawanserail gewesen, mit einer Kameltränke in der Mitte und Übernachtungs- und Aufenthaltsräumen darum herum. Davon zeugen lederne Behälter mit Bambusbeinen zum Wassertransport, die heute noch zu teils folkloristischen Zwecken verkauft werden. An einem Geschäft mit Musikinstrumenten traditioneller Art kommen wir vorüber, die dort originalgetreu hergestellt werden. Eine kleine bauchige Gitarre mit langem Griff heißt z.B. Zithar.

Selbst einen richtigen Kramladen finden wir, über Grammophonen hängen Säbel, daneben eine Rüstung aus der Ghajarenzeit. An der Wand hängt ein Bild eines Kriegers, mit wehender Mähne, stark stilisiert. Es handelt sich um Hussein, den dritten Imam. Der Sage nach zog er gegen den bösen Kalifen Yazid zu Felde, wohl wissend um seine Unterlegenheit, und wurde vom Feind völlig vernichtet. Am zehnten Tag des ersten Monats des hiesigen Kalenders gehören Trauerfeiern zum hiesigen Leben, an denen die Iraner stellvertretend für Iasids Zeitgenossen betrauern, ihm in der Schlacht nicht beigestanden zu haben. Es ist schon dunkel, als wir aus dem Bazaar wieder ins Freie treten.

Danach fahren wir gemeinsam eine halbe Stunde aus der Stadt hinaus, in einen der Vororte, wo wir ein Restaurant mit bunter, fast an Pop-Art gemahnender Fassade besuchen, welches zu meinem Lieblingslokal avancieren wird. Innen ist es ein Restaurant mit iranischem Essen, und zwar vom feineren. Ein großes Buffet birgt etwa 20 verschieden Schüsseln mit diversen Vor- und Nachspeisen, und ich probiere so viele aus wie möglich. Livemusik mit eben den traditionellen Instrumenten rundet das Angebot ab. Wir unterhalten uns prächtig, und erst spät am Abend brechen wir auf.

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