[Auftakt] [In Shiraz] [Im Hinterland] [Irans Metropolen] [Ausklang]
Denn an diesem Sonntagabend beginnt die Städtereise mit Abe als Begleitung. Es ist wenig ratsam, als Tourist ohne Sprachkenntnisse bei der ersten Reise allein loszuziehen. Kann man sich in Spanien und Portugal mit Lateinkenntnissen zumindest grob an Schildern orientieren und Speisekarten lesen, geht dies hier nicht. Farsi hat nichts Verwertbares mit etwa romanischen oder skandinavischen Sprachen gemein, und die Buchstaben ebensowenig.
Zu viel kann schiefgehen, zu viel muss man wissen, um sich darauf einzurichten. Den Straßenverkehr habe ich schon erwähnt, die eigentümliche Taxinutzung ebenfalls; die wenigsten Angestellten in Bahnhöfen und Busbahnhöfen oder Hotels sprechen englisch. Das Risiko, irgendwo hängenzubleiben und sich nicht verständlich machen zu können, ist zu hoch. Das Gros der wenigen Touristen ist ohnehin in Gruppen unterwegs, werden mit Bussen umher gekarrt und von deren Sprache sprechenden Führern durch die Gebäude geführt. Das ist nicht ganz mein Ding, aber unnötig hohe Risiken ebensowenig, Heldentum kann man auf sinnvollere Art belegen. Außerdem ist gerade keine Saison, es gibt kaum Touristen und daher keine erschwinglichen Führungen.
Abe hingegen hat Freunde in Isfahan und Teheran, die er einmal wieder besuchen möchte. Er trifft seine Leute, ich lerne sie kennen, er zeigt mir Isfahan, durch mich gelangt er nach Kashan. Seine Flug- und Bahntickets zahlt er, Taxi und Unterbringung für uns beide gehen auf meine Rechnung. Der Reiseplan: Per Flugzeug nach Isfahan, drei Tage Aufenthalt, während dieser eine Tagestour per Bus nach Kashan und zurück, im Anschluss per Nachtzug nach Teheran, zwei Tage Aufenthalt, dann im Flugzeug zurück nach Shiraz und ein letztes Wochenende dort – insgesamt zahlen wir für die Tickets rund 100 Euro.
Die Verkehrsmittel im Iran haben einen schlechten Ruf im Ausland – zu unrecht. Es gibt Unfälle, aber weit seltener als unwillkürlich angenommen. Iranair, die nationale Gesellschaft, die die Inlandsflüge betreibt, hat freilich das Problem, aufgrund des Handelsembargos keine neuen Maschinen kaufen zu können. Nur gebrauchte kann sie erwerben. Der Röntgengerätezähler läuft wieder fröhlich an, prompt fällt die Metallbox in meinem Handgepäck auf, die ich zusammen mit anderen Kleinigkeiten als Geschenke für die kommenden Bekanntschaften eingepackt habe. Durchaus höflich und vorsichtig durchsucht ein Beamter die Tasche, bis Abe zu ihm sagt, dass ich Mitarbeiter der Uni bin – und er aufhört.
Die Fokker 50, die wir mit gewisser, hierzulande üblicher Verspätung betreten, ist dennoch in ordentlichem Zustand, und der Flug verläuft ohne Probleme. Ich beginne unter Abes Anleitung, mir ein paar der Schriftzeichen einzuprägen. Nach einer Stunde landen wir, nehmen ein Taxi und fahren zum Gästehaus der Technischen Uni Isfahan, wo Behnoosh, eine hier studierende Freundin Abes, ein Zimmer für uns reserviert hat. Es ist eine lange Fahrt, weil wir von einem Ende der Vier-Millionen-Stadt ganz ans andere Ende müssen – und dann noch mehrere Kilometer hinaus zu der außerhalb gelegenen Einrichtung.
Die TU wurde 1977 gegründet und errichtet zusammen mit Wohnheimen, Cafés, einer Moschee, Sporteinrichtungen – einer ganzen Stadt. Busse pendeln zwischen einem Busbahnhof und Isfahan hin und her, der letzte fährt bereits um 21.00 – Nachtleben ist durch die Regierung nicht vorgesehen. Das Gästezimmer ist geräumig und warm, und auf dem Tisch steht eine Schale mit Obst – dessen Hintergrund sollen wir erst später zu unserem Amusement erfahren.
Am nächsten Morgen stehen wir früh auf; nach dem Frühstück unten im Bewirtungsraum treten wir ins Freie. Birkenwälder umstehen den Bau, kalte Luft weht von den auch hier allgegenwärtigen Bergrücken herunter. Der erste Anlaufpunkt ist der PC-Pool, wo wir Emails checken wollen; dort treffen wir Pouria, der Elektroingenieurwesen studiert und der uns die TU zeigen will. Etwa 9000 Studierende stark, bietet die TU einen Fächerkanon von Telekommunikation bis Bergbauingenierwesen, zuzüglich Physik und Chemie. Es ist Semesteranfang, und alle Pools bersten vor Leuten, die sich übers Netz für ihre Kurse anmelden. Das Checken der Emails können wir mithin vergessen, aber morgen ist auch noch ein Tag.
Wir betreten den Physikteil des großen, zusammenhängenden Komplexes. In einer Vitrine hängen die jüngsten in internationalen Journals erschienenen Veröffentlichungen. Ein Freund von Pouria, ein Physiker, führt uns herum. Probleme werden offen angesprochen. Die beiden fühlen sich nicht sehr wohl an ihrer Uni.Ein Jahr dauert die Vor-, fünf die Grundschule; es folgen drei Jahre auf der Mittelschule sowie gegebenenfalles vier Jahre in der Oberstufe. Das Bachelorstudium dauert vier Jahre, das Masterstudium weitere zwei. Die Promotion währt unter günstigen Umständen vier Jahre, realiter meist fünf bis sechs. Mit zwei Millionen Studierenden hat der Iran eine ähnliche Studierquote bezogen auf die Bevölkerung wie wir. Die Zulassung zum Studium erfolgt über einen Test, der aber nicht nur Kenntnisse des Wunschfaches abprüft, sondern auch Wissen in verwandten Fachrichtungen. Wer etwa eigentlich Physik studieren möchte, muss z.B. auch elektroingenieurtechnische Aufgaben lösen. Die Ergebnisse werden ausgewertet – und es wird nur für das Fach zugelassen, für welches man die besten Ergebnisse erzielt hat.
Zusätzlich zum Wunschfach hat jeder und jede eine Rangliste der Universitäten angegeben, an die er oder sie möchte. Im zweiten Schritt, nachdem das Fach festliegt, werden die Ergebnisse der Kandidaten untereinander verglichen, und danach die Studienortwünsche berücksichtigt. Dass nun Frauen im Schnitt sich besser vorbereiten und besser abschneiden als Männer, führt zu dem im Westen unbekannten Zustand, dass in technisch-naturwissenschaftlich orientierten Studiengängen der Frauenanteil bei 50 bis 60% liegt. Er sinkt allerdings im Master-Programm ab, in den Promotionsstudiengängen noch weiter, spätestens auf Professorenebene erreicht er westliches Niveau. Das liegt daran, dass mit zunehmender Eigenverantwortlichkeit in der Wissenschaft die Notwendigkeit der selbständigen Kommunikation mit Kollegen zunimmt, damit auch das „Ausgehen“ im Sinne des Verlassens des Labors, des Besuchens anderer Gebäude und Institutionen. Genau dies aber machen System und Erziehung den Frauen schwerer als Männern. Als wir losfahren, übersetzen Amir und Abe Rodobe, was ich sage.
Zunächst ist die Ausbildung, wie auch in Shiraz, sehr theoretisch. Es gibt bislang zuwenig Geld für Experimente. Komplizierte Fornelwerke werden durchexerziert, gebüffelt, ohne dass die Studierenden großen Sinn darin sehen. Der einzige Sinn ist das Erzielen guter Noten in den Klausuren. Die Akademikerarbeitslosigkeit im Iran ist alarmierend und ein ernstes Problem, auf lange Sicht ein sozialer Sprengsatz. Nur mit guten Noten und möglichst ein paar Beziehungen ist ein Job zu finden. Die meisten BA-Absolventen sind arbeitslos, nur für Master-Absolventen ist es einfacher. Das führt zu einer Entsolidarisierung der Studierenden. Sehr gut muss eine Freundschaft sein, damit einer dem anderen etwas erklärt. Ist sie das nicht, werden mitunter bewusst falsche Angaben gemacht, damit der oder die andere Fehler in der Klausur – und eine schlechtere Note produziert.
Die Professoren reflektieren dieses Bild. Sie sitzen jeder für sich ihn ihrem Kämmerlein, brüten über ihren Formeln, starten keine Initiativen, denken nicht quer, von Ausnahmen abgesehen. Es ist keine glückliche Zeit. Immerhin haben die Hochschulen aber eine funktionierende Lehrevaluation. Es gibt zwar keine nennenswerte Studierendenvertretung, in den Gremien sitzen ausschließlich die Professoren. Aber am Ende jedes Semesters werden Meinungen zu den Lehrveranstaltungen eingeholt. Hat ein Dozent oder eine Dozentin schlechte Beurteilungen erhalten, versucht die Fakultät einzuwirken. Bessert sich nichts, wird ihm oder ihr eine andere Veranstaltung zugeteilt. Im Extremfalle erfolgt eine Versetzung.
Nach der Führung begeben wir uns zum Busbahnhof und besteigen einen der blauen Busse, in denen die Geschlechtertrennung strikt eingehalten wird – Männer hinten, Frauen vorn. Auf der Fahrt sehen wir die Vororte, die seltsam provisorisch, gar ruinenhaft wirken, bevor wir in den Isfahaner Straßenverkehr geraten, der den in Shiraz in den Schatten stellt. Die Isfahani sind bemüht, ihr Stadtbild, besonders im alten Teil, so unverändert wie möglich zu halten. Dazu gehören Baumreihen in der Mitte der Straße, die uns bereits auf der Fahrt vom Flughafen aufgefallen sind. Die Verstädterung macht aber auch hier nicht halt, und so ist der Verkehr in den letzten drei, vier Jahren unerträglich geworden. Die Baumreihen böten Platz für eine, gar zwei zusätzliche Spuren – indes auch diese wären rasch voll, was das Problem nur aufgeschoben hätte. Hoffentlich macht das Beispiel einer U-Bahn in Shiraz Schule.
Am Nachmittag haben wir einen Termin mit dem Leiter der Physikalischen Fakultät. Bis dahin besuchen wir kurz das Viertel der armenischen Christen, die darin eine Kirche mit römischen Ziffern an der Kirchturmuhr und ein Kloster unterhalten. Anfang des 17. Jahrhunderts deportierte Schah Abbas, um Handel und Wirtschaft aufzuhelfen, Armenier nach Isfahan, die in einem eigenen Stadtteil wegen ihrer beruflichen Fähigkeiten Steuererleichterungen sowie Selbstverwaltungsrechte in z.B. rechtlichen wie auch religiösen Angelegenheiten erhielten.
Religiöse Minderheiten werden durchaus geduldet im Iran, sofern sie nicht versuchen, zu missionieren. Dies wäre ohnehin schwierig. Das Konvertieren zum Islam ist extrem leicht, es reicht das Glaubensbekenntnis, ausgesprochen in Gegenwart eines Moslem; ein Austritt aus dem Islam ist nicht möglich.
Um drei Uhr fahren wir durch das Tor der Universität Shiraz. Sie ist eine der großen, führenden Universitäten des Iran, etwa 50 Jahre alt. Das Gelände, am Fuß der Soffeeh-Berge, ist sehr weitläufig, bedeckt 4.5 Millionen Quadratmeter mit vielen Grünflächen, etwas trocken, und weit auseinanderstehenden Gebäuden der Fakultäten. Das der Physik wirkt recht neu, augenscheinlich gab es auch hier Erweiterungsmaßnahmen. Breite Treppen führen zu Etagen mit Steinfußboden. Oben prangt eine Kuppel für das Observatorium.
Um dessen Ausstattung wird es von den Leuten der TU lebhaft beneidet. Was sich angesichts der Luft- und Lichtverschmutzung so nahe an der Metropole beobachten lässt, ist eine andere Frage, indes das Observatorium dient primär der Ausbildung, nicht der Forschung. Unser Führer hat anderweitig zu tun, und so ersteigen Abe und ich allein das oberste Stockwerk. Wir treffen den Leiter der Fakultät und einen seiner Leute, Professor Mostajabaddi. Wir unterhalten uns über unsere Tätigkeiten, und zwangsläufig kommt das Gespräch auf unser DOAS. Professor Mostajabaddi ist sehr interessiert. Wir erfahren, was wir noch nicht wussten: Es existiert bereits eine Zusammenarbeit zwischen den Universitäten Shiraz, Isfahan und Rom zur Untersuchung der Luftverschmutzung – nur war diese bisher an der DOAS-AG in Shiraz und Prof. Nadgaran vorbeigegangen. Derzeit wird ein Projekt vorbereitet, die Auswirkungen der geplanten Errichtung eines Kraftwerkes am Persischen Golf zu beobachten. Und wieder treffen wir auf eine globale Konstante: Das wissenschaftliche Förderungswesen. Für Experimente haben die Italiener, die Wessis, mehr Geld, darum entscheiden sie, wo es langgeht, meine Gastgeber müssen Anträge stellen. Wie immer und weltweit, passiert dies auf den letzten Drücker, sprich, am letzten Tag vor Ablauf der Deadline. Der ist heute.
Langpfadgeräte könnten ihren Meßstrahl quer und kilometerweit über Buchten des Golfes richten, Streulichtgeräte zusätzliche Informationen über die Höhenverteilung der Emissionen erlangen. Und prompt werden wir gebeten, ein Proposal zu schreiben, und es am nächsten Morgen an die Uni zu mailen, damit dieses in Mailand eingereicht werden kann. Etwas verdattert, aber freudig erregt verlassen wir die Uni.
Es ist schon später Nachmittag, als wir den zentralen Platz Isfahans, den Imam Khomeini Platz, er hieß nicht immer so, erreichen. Abe zückt sein Handy und verständigt Ahmad, der gibt grünes Licht. Wir nutzen die blaue Stunde, um den Anblick des Platzes zu genießen. Die Wasserspeier, die die Wasserfläche flankieren, arbeiten von Scheinwerfern angestrahlt. Bäume und Grünflächen trennen das Wasser von dem breiten Weg, der die anliegenden Gebäude säumt. Verkehr darf nur an einer Stelle den Platz passieren, ansonsten dürfen nur Fiaker fahren, die in der Tat an Wien erinnern.
Ein hoher Prozentsatz aller Sehenswürdigkeiten Isfahans findet sich hier. Allerdings auch hiesige Sicherheitskräfte in Uniform und Zivil. Eine Frau, die aufgelöst im Informationsbüro vorsprach, weil sie in dem Gewühle der Touristensaison ihren kleinen Sohn aus den Augen verloren hatte, ist einmal mit den Worten beruhigt worden, sie solle sich keine Sorgen machen, man habe da draußen soviele Leute, den Kleinen finde man schon wieder. Es mag etwas überraschend anmuten, dass die Polizei hier Mercedes fährt, relativ neue, schnittige Modelle, in blauweiß lackiert. Finanziert wurden die Fahrzeuge von der UNO. Gedacht hat diese wahrscheinlich an die öffentliche Sicherheit. Leider operiert die Polizei hier als Religionspolizei – und zwar mit Spass und stimmungsabhängig. Die Männer sehen zum Teil eher ungepflegt aus, wenig vertrauenerweckend, was sie auch nicht sein müssen. Unser Führer sagt, diese Polizei sei der schlimmste Albtraum junger Leute. Isfahan ist religiös. Das ist bereits an der Kleidung der Frauen zu sehen. Etwa ein Viertel der Frauen in Shiraz ist mit einem bodenlangen Chador bekleidet, hier in Isfahan ist es die Hälfte. Die Frauen, bei denen unter dem schwarzen Tuch jedoch eine weiße Haube getragen wird, sind Armenierinnen. In Shiraz können Liebespaare miteinander losziehen, ich habe darüber berichtet.
Wenn Paar hier unterwegs ist, muss es auf der Hut sein. Haben zwei Beamte gerade Lust, halten sie es an. Ein Beamter hält den Mann beim Fahrzeug unter Bewachung, der zweite nimmt die Frau beiseite; er fragt sie nach ihrer Beziehung zu dem Mann; wird angegeben, man sei verheiratet oder eng verwandt, was allein de jure ein Zusammensein eines Mannes und einer Frau ohne weitere Begleitung rechtfertigt, folgen Fragen. Fragen nach der angeblich gemeinsamen Adresse, nach dem Namen der Eltern, nach der Marke des Kühlschrankes, des Autos und dergleichen. Nach einigen Minuten wird gewechselt, dieselben Fragen werden an den Mann gerichtet. Stimmen die Antworten nicht überein, können die Beamten die beiden festnehmen. Die Folgen sind – wiederum stimmungsabhängig.
In diesem Licht ist es kaum überraschend, dass es auch in diesem Lande einen Straßenstrich gibt. Prostituierte tragen auch Kopftuch, sogar strenger als die meisten anderen Frauen, um hier kein unnützes Risiko einzugehen. Man erkennt sie allerdings an der extrem dicken Schminke. Interessenten lesen sie nach Amirs Angaben am Straßenrand auf, bringen sie zu sich. Manche zahlen, manche nicht. Einige Prostituierte haben ein recht gutes Auskommen. Erwischt die Polizei sie, wird sie zwar in der Regel laufen gelassen, hat ihre Tätigkeit aber zuvor kostenlos zu verrichten.
Wir verlassen den Bereich, kommen noch an einem Geschäft namens „Kopftuch-Serail“ vorbei, über dem ironischerweise ein englischsprachiges Schild den „Latest Model Scarf“ anpreist. Wir nehmen ein Taxi und fahren zur 33-Brücke. Sie heißt wirklich so, i.e. auf Farsi „Si-o-se-pol“, da sie auf 33 Pfeilern ruht, die im abendlichen Halbdunkel in gelbes Scheinwerferlicht getaucht sind. Über den breiten Mittelteil flanieren die Passanten, Straßenmusikanten verdienen sich den Lebensunterhalt. Rechts und links jedoch verläufen zwei Seitengänge, gut 1 m breit, überdacht von Steingewölbe. Alle paar Meter lässt sich der Seitengang vom Mittelteil aus betreten. Der Blick die Brücke hinunter wirkt wie die Aufnahme eines der Torbögen im Spiegel, sich scheinbar bis ins Unendliche wiederholend, dann hinter der sanften Wölbung der Brücke nach unten verschwindend. Fenster weisen den Blick auf den Fluss und die dort rastenden Seevögel. Eine Weile verweilen wir, dann beginnt Abe, Vorbereitungen für das Abendessen zu treffen.
Er telephoniert mit dem Handy, auch hier das primäre Instrument für die Anbindung des Sozialumfelds, zwei Freunde an, mit ihnen wollen wir uns in einer Pizzeria treffen. Dann beginnt die Odyssee. Mit geteilten Taxis wollen wir das Lokal erreichen, aber Abe weiß nicht genau, wo sich die Adresse befindet. Wir fragen Passanten und knallen frontal auf die Schattenseite der hiesigen Stadtbevölkerung – ihre Hilfsbereitschaft ist unterhalb der Nachweisgrenze. Oberflächlich werden einige Sätze, vage Handbewegungen hingeworfen, um uns wieder loszuwerden, ohne allzu unhöflich zu erscheinen. Auf eine präzise Nachfrage wird unweigerlich mit „Ja, da entlang“ geantwortet – ebenso hätte Abe nach der Flugfähigkeit besagter Brücke fragen können. Wir nehmen ein Taxi, fahren los, bis zu einem Punkt, steigen aus. Wir müssen eine weitere Straße entlang, quer zur vorigen, also nehmen wir ein weiteres Taxi; wir kommen an einer weiteren Kreuzung an, steigen aus, versuchen das Restaurant zu finden – Fehlschlag, wir sind fehlgeleitet worden.
Wieder fragt Abe, peinlich berührt und selbst irritiert, Passanten, erhält sichtlich wieder vage Ausführungen, fragt erneut, wieder dasselbe Ergebnis. Per Handy holt Abe weitere Navigationsdaten ein, und wieder kraxeln wir in ein Taxi, fahren zu einem Punkt, müssen wieder die Richtung wechseln.
Etwa acht Fahrten machen wir an diesem Abend, die Veranstaltung artet in eine Odyssee aus. Von den Verhandlungen bekomme ich wenig mit, da sie sämtlich in Farsi geführt werden. Meine Erkältung, die ich mir in Shiraz eingefangen habe, verbessert meine Stimmung auch nicht. In dieser Stunde bekomme ich einen Koller – das Hinein- und Hinaus aus Taxis scheinbar ohne Sinn, das halsbrecherische Überqueren der Straßen, die Gleichgültigkeit der Passanten – kurzzeitig habe ich den Kanal voll, und zwar bis zum Anschlag.
Endlich langen wir im Restaurant an, fast zeitglich mit Abes Kumpel Farshid und dessen Freundin Leili. Wir bestellen Essen, zum allgemeinen Amusement bin ich der einzige, der iranisches Essen bestellt, alle anderen wählen Pizzen. Bei fröhlicher zweisprachiger Unterhaltung nimmt der Abend eine versöhnlichere Wendung, und es ist schon gegen zehn, als wir wieder aufbrechen. Mit einem weiteren Taxi fahren wir gemeinsam los, setzen die beiden Freunde ab, fahren weiter zur TU – wo Abe einen Strauß mit dem Fahrer auszufechten hat, weil ich als Fremder einen höheren Fahrpreis rechtfertige.
Hundemüde basteln wir im Hotel noch handschriftlich den Text für das Proposal für Mailand zusammen, ehe wir schlafen wie die Toten.
Der nächste Morgen bringt neben einem frühen Aufstehen wieder einen Trip zum PC-Pool der TU, wo ich den Entwurf des Proposals abtippe und an Ahmad sowie an den Professor in Isfahan schicke, dann kann das Sightseeing losgehen. Als erstes besuchen wir den Chehel-Sotun-Palast, in dem Malereien und Uniformen einen Einblick in die Schahs verschiedener Dynastien der letzten Jahrhunderte geben. Rege Tätigkeit zum Schließen von Bündnissen gegen militärische Bedrohung sind zu sehen. Jeweils auf einem erhöhten Podest sitzen der Schah und der jeweilige verbündete Herrscher, flankiert von weiteren hochrangigen Beamten, während im Vordergrund Tänzerinnen die Herrschaften belustigen. In den anderen Räumen des Palastes sind wiederum Restaurierungsarbeiten im Gange. Wir laufen noch kurz um das Gewässer vor der Frontfassade herum, und Abe erkundigt sich per Handy nach dem Stand der Dinge in Shiraz, wo Amir inzwischen Strom für den Gasanalysator aufgetrieben und diesen zusammen mit dem Kollegen vom Umweltamt zum Laufen gebracht hat.
Das nächste Ziel ist wieder der Imam Khomeini-Platz, wo es eine Menge zu besichtigen gibt. Zunächst aber suchen wir nach einigen Dingen im Bazaar, unter anderem jenen bedruckten Baumwolldecken, für die Isfahan, unter anderem, bekannt ist. Präzise Order habe ich von der Freundin erhalten, die mich gebrieft hat, und denen wird jetzt nachgegangen. In einem Geschäft werden wir fündig, bezahlen umgerechnet etwa etwa neun Euro für die Decken. Das war ein Fehler – in einem weiteren Geschäft sehen wir für fast denselben Preis wesentlich höherwertige Decken. Wir kehren um, tauschen die Ware um und suchen jetzt gründlicher. In einem Geschäft werden wir vernünftig fündig - prompt erhalten wir eine Einladung, in den hinteren Katakomben des Bazars die Werkstatt des Geschäfts zu besuchen.
Die Tücher werden, in quadratischer oder kreisrunder Form, mit weißem Grundton gewebt. Sodann liegen Lettern mit Standardmustern bereit, die fast beliebig kombinierbar scheinen. Ein Mann in den Sechzigern taucht sie in Farbe aus Naturmaterial, von dem behauptet wird, dass es in vielen Jahren nicht verblasst. Es ist die verwendete rötliche Farbe, die nach dem Druck ins Tuch weiter hineindiffundiert und für den beigen Grundton sorgt. Sorgfältig setzt er das Werkzeug auf eine bestimmte Stelle der Decke, damit das Muster an die bereits gedruckten bündig anschließt, und schlägt mit einer lederumwickelten Faust darauf. Zahlreiche Stapel liegen bereit zur Auslieferung ans Geschäft, sobald dieses leergekauft ist.
Zur Zeit kaufen indes fast nur Einheimische, eben weil keine Touristensaison ist. Zufrieden packen wir die Decken ein, auch Abe hat sich eingedeckt, und ziehen weiter, schauen uns den Kupferbereich an, wieder mit zahlreichen Geschäfte nebeneinander. Ich erstehe eine kleine Vase und einen Teller.Abe selbst sucht sich eine Uhr aus, mit einem Kupferteller als Zifferblatt und einem kleinen Quarzwerk. Gegenüber bearbeitet ein wiederum in den Sechzigern befindlicher Ladeninhaber ein Werkstück, das eine große Schale werden soll. Auf der Stirn hat er eine Art Mal, Abe erklärt mir, es handele sich um eine permanente Druckstelle, die man nach vielen Jahren des Betens durch das rhytmische Aufsetzen der Stirn auf einen kleinen Block aus Erdreich von heiligen Orten, etwa Kerbela im Irak, erhalte. Es handelt sich demnach um einen sehr religiösen Mann.
Ein weiteres Geschäft bietet Miniaturmalerei auf Elfenbein; die meisten Motive zeigen die Polospiele, die viele Jahrzehnte zu Ehren des Schahs auf der Grünfläche des Platzes ausgetragen wurden.
Ich bin in diesem Land auf drei Meilen Entfernung als Fremder erkennbar, das war mir bereits klar. Etwas überrascht war ich allerdings, dass ich offenbar auch als Deutscher identifizierbar bin: zweimal werde ich, ohne irgendwelche Äußerungen in meiner Muttersprache getan zu haben, von Händlern auf deutsch angesprochen. Wir wechseln jeweils ein paar Worte, um uns danach zu dritt darüber zu amüsieren, dass ausnahmsweise Abe es diesmal ist, der einer Unterhaltung nicht folgen kann.
Das Mittagessen, wie sich das gehört aus Kebab und Reis, nehmen wir in einem traditionellen, an den Bazar angeschlossenen Restaurant ein. Danach ist die Imam-Moschee an der Reihe. Nach Persepolis ist sie die wichtigste Sehenswürdigkeit. Gigantisch beherrscht sie den Platz mit ihrer mächtigen Kuppel und den Minaretten. Gegen wieder umgerechnet wenige Euro betreten wir das Gebäude. Ein marmornes Becken lädt zum Waschen ein. Fast verloren wirkt es in dem Gewölbe. Ein gewaltiger Innenhof öffnet sich, den Blick freigebend auf weitere Gewölbe, an jeder der vier Seiten des Geländes eines. Einzelne Betende sitzen dort, wir bleiben sorgfältig aus deren Blickfeld. Die Decke ist kunstvoll in Blautönen verziert, völlig unfigürlich, nur Verse des Koran unterbrechen die geometrischen Formen. Die blauen Kacheln, in denen die Verzierung ausgeführt ist, bieten je nach Beleuchtung einen anderen Ton dar, was anhand verschiedener Betrachtungswinkel nachprüfbar ist.
In Seitenhöfen verbreiten kleine Bäume eine ruhige Stimmung, ein wenig an buddhistische Tempel erinnernd. In die Mauer sind Nischen eingelassen, um Betenden Platz zu bieten. Ganz still ist es um diese Tageszeit. Und still sind auch wir, durch das Gebäude wandernd, während ich aus verschiedenen Perspektiven die Stimmung mit meiner Spiegelreflex einzufangen suche. Zwei weitere Moscheen, Sheikh Lotfallah und Brujerdi, besuchen wir, auch sie sind beeindruckend, können aber die Imam-Moschee nicht „schlagen“.
Zuletzt besuchen wir den Ali Quapu-Palast, übersetzt „Große Pforte“, errichtet Ende des 16. Jahrhunderts. Er diente dem Herrscher als Sitz in den Zeiten, als Isfahan Hauptstadt Persiens war. Der Palast ist leergeräumt, doch die getünchten Zimmer vermitteln einen guten Eindruck der vergangenen Pracht. Ganz oben, unter einem gewaltigen Baldachin, der auf Holzpfeilern ruht, stand der Sessel, von dem aus der Schah die Sportveranstaltungen mitverfolgte. Von jedem Stockwerk aus lässt sich ein Blick über das Geländer in den überdachten Innenhof werfen. Eine Seitentür führt in ein weiteres Treppenhaus. Wir probieren es aus und landen auf einer Außenbalustrade, die den Blick auf die angrenzende Kunshochschule freigibt, auch sie in einem historischen Trakt untergebracht.
Unser Versuch, wieder ins Haupttreppenhaus zu gelangen, scheitert – an der inzwischen verschlossenen Seitentür. Wir laufen ein Stockwerk nach unten, versuchen es mit dem Analogon auf der tieferen Etage – vergebens, ebenso der Versuch auf der oberen Etage. Wir sitzen fest. Ich kann mich nicht enthalten, Abe davon zu erzählen, wie ich eines Freitagnachmittages von einem eifrigen Zusperrer in einem der Labors meines ehemaligen Instituts festgesetzt wurde. Wir begeben uns an eine Stelle, von der aus wir zumindest besagten Innenhof einsehen können. Endlich nähern sich Schritte, ein Paar schickt sich an, den Komplex zu besuchen. Abe ruft sie an, erklärt kurz die Situation, woraus die beiden den Wärter holen, der uns grinsend eine Tür öffnet. Erleichtert statten wir der Kunsthochschule einen Besuch ab, genießen die Luft der Freiheit, während wir an den zusammengeklappten Tisch und Stühlen vorübergehen, die in den Wandelgängen aufgestellt sind.
Unser Programm hier ist nun beendet, es geht in den späten Nachmittag hinein. Wir beschließen, noch ein wenig am Fluss entlangzugehen. Grünflächen mit Bäumen trennen die gepflasterte und Gepflegte Uferpromenade vom brausenden Verkehr. An den Brücken laufen wir entlang, passieren die Khaju-Brücke, wegen ihrer materiellen, inzwischen zerstörten und wieder aufgebauten Vergangenheit „hölzerne Brücke“ genannt, und gelangen wieder zur 33-Brücke. Wir sind in dem von Touristen begehrtesten Stadtteil gelandet; hier, an dieser Brücke, stehen auch die teuersten Hotels, mit Blick auf die wiederum abends von gelbem Licht angestrahlte Konstruktion.
Im Fluss liegt eine Insel mit einem Miniaturvergnügungspark darauf, der im Augenblick stilliegt. Neugierig gehen wir über den schmalen stählernen Steg und finden das Teehaus offen. Wohl eher etwas für Insider oder eben Neugierige, bietet es keine Stühle, sondern Teppichnischen, auf denen wir es uns bei Tee bequem machen. Abe verpasst mir die nächste Lektion Farsi. Es dunkelt schon, als wir aufbrechen. Noch ein Welchen setzen wir uns an die berühmte Brücke, unterhalten uns über Allah, Gott und den Rest der Welt. Nach einem kurzen Besuch in einem der modernen Einkaufszentren nahebei geht es wieder ans Abendessen.
Diesmal ist es nicht so eine Odyssee, per Handy werden wir nach nur zwei Taxifahrten zu einer Straße navigiert, wo uns Vahid aufsammelt, ein weiterer aus Abes Kumpelriege. Ein Softwareingenieur, fährt er ein kleines, aber modernes westliches Fahrzeug, mit dem er uns zu einem Süßigkeitengeschäft bringt, wo wir uns mit Gaz eindecken, der hiesigen Form des türkischen Honig. Danach geht es zu einer Pizzeria, die einen exzellenten Ruf genießt. Mit den Pizzen bewehrt, bringt er uns zur Stelle, wo die Busse abfahren, und dieses Mal erwischen wir einen davon.
Der Abend ist noch nicht vorbei. Drei Freundinnen haben sich schon angekündigt, wollen Abe sehen und den Wessi besichtigen. Ganz unterschiedlich gekleidet treten sie ein. Eine trägt den die bis zur Brust reichenden, das Gesicht umrahmenden Schleierkombination. Die zweite trägt ein Kopftuch, das Haar ganz verdeckend, bei der dritten ist der Haaransatz nach Shirazi Fasson zu sehen. Auf ihr weiteres Verhalten hat das keinen Einfluss. Ich breite meine Schätze des Bazar auf dem Bett aus, Begeisterung breitet sich aus.
Dann sitzen wir zusammen und quatschen. Es ist die dem äußersten nach religiöseste, die am besten Englisch spricht, und mit mir parliert. Die anderen beiden bereden alte Zeiten mit Abe, während wir uns aus dem so überraschend in unserem Zimmer placierten Früchteteller bedienen.
Als die drei gehen, ist es wieder die religiöseste, die mir nun die Hand entgegenstreckt, die anderen folgen ihrem Beispiel. Das lässt mich wieder an Dr. Nadgaran danken, der auch religiös ist – und dennoch sich um Westkontakte bemüht, und um Reisemöglichkeiten für seine auch sonst durch ihn gut betreuten Leute. Religiösität ist mithin der falsche Parameter zur Einschätzung der Leute hier. Ahmad wird mir später erzählen, dass Leute unterschiedlicher Religiösität nicht immer so tolrenat miteinander umgehen. Manche seinen sehr religiös, absolvierten alle Pflichten vom Beten bis zum Ramadan. Manche beten nicht, halten sich aber an die Fastenzeit. Wieder andere fasten auch nicht, beachten aber die Verschleierung recht strikt. Und leider mache sich zuweilen jede Gruppe über die andere lustig.
Der nächste Tag bringt den Tagesausflug nach Kashan, der kleinen Stadt, die für ihre Kacheln berühmt ist – ob sich der Name der Kacheln vom Stadtnamen herleitet oder umgekehrt, ist umstritten. Behnoosh hat gestern für uns die Bustickets besorgt. Wir sind so rechtzeitig mit dem Taxi am Busbahnhof, dass wir, obschon für neun Uhr gebucht, noch dem Fahrer der Tour für acht Uhr in die Arme laufen, der, den Zielnamen rufend, durch die Halle marschiert. Wir steigen ein, fahren los.
Auf den Schirmen der Fernseher läuft ein Film über eine Iranerin, die gerne selbst ausgehen möchte, um einen bestimmten Mann zu treffen, sich dies aber nicht traut. Eigentlich ein interessantes Thema, aber als klinisch saubere Seifenoper aufgemacht. Wir essen das aus der Kantine mitgenommene Frühstück, trinken den herumgereichten Tee, sehen aus dem Fenster die felsige Landschaft vorbeiziehen. Der Bus ist nicht der neueste, aber gut in Schuss – die Straße ebenfalls. Auch Baumgruppen, einzelne Industrieanlagen ziehen vorbei. Auf dem letzten Drittel verengt sich die Straße, als sie zwischen den Hügeln sich hindurchwindet.
Nach etwa vier Stunden Fahrt erreichen wir Kashan. Wir lokalisieren das Büro des Busbahnhofes, um wieder wegzukommen, und nehmen dann ein Taxi in die Stadt hinein. Wir werden in in engen Gassen zwischen lehmfarbenen Gebäuden abgesetzt, im alten Teil der Stadt. Zuerst gehen wir in Broojerdis Haus, aus der Gajarenzeit stammt es, mit figürlichen Darstellungen in Uniform. Die Deckenkonstruktion weist eine Wabenstruktur aus kleinen, versetzt angeordneten Bögen auf, die wir auch in Isfahan bemerkt haben. Sie sorgt für Flexibilität bei Erdbeben. In den Decken sitzen Luken, die das Licht der Sonne hereinlassen und wie diese geformt sind, wie der Reiseführer einer italienischen Reisegruppe erzählt. Vorsichtig schlängeln wir uns um die allgegenwärtigen Gerüste der Instandsetzungsarbeiten herum. Bemerkenswert ist das Kühlungssystem. Das Gebäude wird flankiert von etwa 10 m hohen Türmen. In der heißen Jahreszeit weht in dieser Höhe ein leichter Wind. Er wird eingefangen. Im Innenhof liegt, wie bei so vielen Gebäuden, ein Pool, gespeist durch Wasser aus den Rinnsaalen der umliegenden Berge. Die heiße Luft verdunstet Wasser, dadurch wird sie kühler. Einlaßöffnungen in Bodenhöhe lassen die gekühlte Luft herein, innere Leitungen verteilen sie im Haus.
Das nächste Ziel ist Ameris Haus. Es ist ähnlich aufgebaut, aber zusätzlich mit Badeeinrichtungen versehen. Das Haus erweist sich als ganzer Komplex miteinander verbundener Häuser. Von Raum zu Raum gehen wir, treffen auf den Chef des Restaurateurtrupps, der uns hilft, aus dem Labyrinth wieder herauszufinden, indem wir uns gerade fleißig verfranst hatten.
Wir essen zu Mittag in einem Restaurant, dessen Besitzer uns neugierig befragt, danach besteigen wir einen öffentlichen Bus zu den Fin-Gärten, dem Ausflugsziel nicht nur der Touristen. Ein Wachsfigurenkabinett zeigt historische Trachten und, wiederum, Uniformen. Draußen fließen kreuz und quer Bäche über blau gekachelte Rinnen – gekachelt mit ebenjenen Fliesen, für die diese Stadt so bekannt ist. Hohe Bäume beschatten die Wege, die wir entlanggehen, wir entspannen innerlich.
Mit dem Bus fahren wir wieder zurück, begeben uns zum Warteraum des Busbahnhofes. In der Schlange stehen religiös gekleidete, jedoch stark geschminkte Frauen. Abe erzählt mir, sie seien offensichtlich von einer der neuen Privatunis, deren Gebühren sich nur begüterte Familien leisten können. Die Busfahrt zurück liefert uns einen Sonnenuntergang über Hügelketten. Ein altes Karawanserail, das uns auf dem Hinweg gar nicht recht aufgefallen ist, kommt in Sicht, ich erwische mit meiner Kamera die sinkende Sonne direkt dahinter.
Beim Abendessen in der Kantine sitzen wir am Tisch mit zwei Teilnehmerinnen der Chemie-Konferenz, die das Gästehaus gerade mit Beschlag belegt, und wieder erhöht sich die Zahl der Einträge auf meiner Irankontakteliste. Wir dürfen nicht trödeln, sondern packen unsere Sachen. Beim Versuch, die Hotelrechnung zu bezahlen, werden wir lächelnd mit dem Bescheid bedacht, es sei alles schon bezahlt. Erst in Shiraz werden wir auf eine Nachfrage hin erfahren, dass wir die ganze Zeit mit einem anderen Kollegen aus Deutschland, und Gast der TU Isfahan, verwechselt worden sind – was endlich auch die Obstschale in dem sonst eher geizigen Isfahan erklärt.
Am Bahnhof wartet unser Nachtzug nach Teheran. Im Bahnhofsgebäude hängen zahlreiche Transparente, die auf den bevorstehenden Jahrestag der Revolution hinweisen, mit den Gesichtern von Khomeini und seinem Nachfolger Khamenei versehen.
Der Schlafwagenzug fährt pünktlich ab. Wir teilen das Abteil mit einem älteren, eher schweigsamen Herren und drei Jungs Mitte zwanzig, deren einer flüssiges Englisch spricht, während die anderen eher schüchtern sind. Sie sind studierte Elektroingenieure, aber Namen und Emails werden dieses Mal nicht ausgetauscht. Die drei arbeiten an einem Projekt betreffend die Elektronik eines Kampfhubschraubers. Tauschten wir Emails aus, müßten die drei einen umfangreichen Kontaktbericht über Abe, mich und unser Gespräch abliefern, darauf hat niemand wirklich Lust. Wir lassen uns von solchen Kalamitäten nicht stören, respektieren die Sicherheitsbestimmungen, denen unsere neuen Bekannten unterliegen, und quatschen über unsere bisherige Iranreise sowie unsere wissenschaftliche Arbeit. Nach einigen Stunden bereiten wir die Betten für eine kurze Nacht, bis wir gegen sechs in Teheran ankommen. Die Leute helfen uns mit einer Stadtkarte aus, um etwas genauer zu lokalisieren, wo wir hinmüssen, dann verabschieden wir uns.
Ein Taxi bringt uns nach etwa halbstündiger Fahrt zum Gästehaus, weches die Universität Shiraz hier für ihre zahlreichen Hauptstadtbesucher unterhält. Dr. Nadgaran ist bereits anlässlich einer Konferenz in einem der Zimmer unseres Stockwerkes, wie wir vom Pförtner über Gegensprechanlage erfahren, der uns per Knopfdruck einlässt. Hundemüde begeben wir uns hinauf, packen ein wenig aus, und legen uns in die Kojen eines der auf einen gemeinsamen Mittelraum führenden Zimmer. Wir schlafen etwa drei Stunden, dann werden wir von einem Professor der Literaturgeschichte geweckt. Nach der Morgentoilette frühstücken wir gemeinsam. An das warme, frischgebackene Fladenbrot habe ich mich inzwischen mehr als gewöhnt.
Der erste Termin wartet – wir besuchen Mehdi Omranloo, den Handelsvertreter des Wiley-Verlages in Teheran. Wir haben den Termin bereits im Vorfeld telephonisch ausgemacht. Eigentlich ist es keine Verlagsvertretung de jure: Als US-Firma darf Wiley selbst keine Dependancen im Iran haben. Daher betreibt Mehdi eine unabhängige Marketingfirma, Danesh Ltd., die aber de facto ausschließlich für Wiley arbeitet. Wo ein Markt ist, ist auch ein Weg. Mehdi ist etwa Mitte dreißig, und lädt uns freundlich ins Büro ein, das mit diversen Postern und Plakaten des Verlags verziert ist. Wir sprechen bei Tee und Keksen über die Hochschullandschaft, unsere Reise, über besagte Konferenz, über die Buchmesse in Teheran im Mai. Es gibt aber noch weitere Veranstaltungen, wo sich eine Repräsentanz unseres Verlages lohnt. Gern würde ich auf diese Weise nochmals in den Iran kommen. Abe und seine Kollegen hatten übrigens gar nichts von dieser Repräsentanz gewusst, bisher umständlich die Bücher über unsere britische Niederlassung bezogen.
Wir verabschieden uns nach etwa einer Stunde und fahren zur Shahid Beheshti Universität, die Schauplatz der einige hundert Teilnehmer starken Konferenz über Optik und Photonik ist. Dort ist bereits Dr. Nadgaran, und das Auditorium lauscht den Vorträgen u.a. zweier seiner Doktoranden. Wir erhalten beim Eintritt die Plastikmappe mit Kugelschreiber, die an alle Teilnehmer ausgehändigt wurde – mein erstes „Conference pack“ einer iranischen Konferenz.
Die Powerpoint-„Folien“ sind auf englisch beschriftet, die Vorträge selbst werden jedoch in Farsi abgeliefert. Die Themen sind theoretischer Natur, behandeln die Transmission von Licht durch Glasfasern. In der Pause brechen wir auf, nicht ohne eine weitere Bekanntschaft zu schließen mit einer Teilnehmerin, die wiederum nach Möglichkeiten fragt, in Deutschland zu studieren. Danach schlendern wir über den Campus dieser Universität, einer von etwa zwanzig in Teheran, der 12-Millionen-Metropole, Vororte nicht mitgezählt.
Es ist unter anderem in der Hauptstadt, wo die Regierung versucht, eine neue Forschungszentrenstruktur zu etablieren, welche die Max-Planck-Gesellschaft in Deutschland zu replizieren sucht: die „Institutes for Studies in Theoretical Physics and Mathematics (IPM)“. In landesweit verteilten Zentren arbeiten ausgesuchte Professoren nahegelegener Universitäten. Wir wollen einen davon besuchen, Morteza Aslani, einen guten Bekannten Ahmads, der just zu der Zeit, als Ahmad unseren Workshop in Heidelberg besucht hat, am Institut der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt gewesen ist. Aus dem Taxiradio schallt eine Sendung zur nahen Revolutionsfeier; im Chor singen irgendwo versammelte Männer „Al-hamdo le-llâh!“– Lob sei Gott.
Das Institutsgebäude ist videoüberwacht, auf Abes Anraten stecke ich meine Kamera lieber weg. In fließendem, akzentarmem Englisch erläutert unser Gastgeber uns die Initiative der neuen Institute. Bislang ist die Forschung eher theoretisch orientiert – wie die bisherige Universitätsforschung auch. Aber man plant den Einstieg in die experimentelle Wissenschaft, Ansätze entwickelten sich gerade. Interessiert zeigt er sich über unsere Meßaktivitäten und unsere Pläne im Persischen Golf. Nach einem von der kleinen Kantine heraufgebrachten Kebab-Mittagessen und einem Emailcheck verlassen wir das Institut und fahren zur nahegelegenen Bibliothek des Forschungszentrums. Ein gut gepflegter Bau erwartet uns, mit Marmorboden, Holzgeländer, und einer geräumigen Bibliothek, welche die neuesten Werke beinhaltet. Geld ist hier wie in „unserer“ MPG nicht das Problem – welches Buch auch immer er und seine Kollegen wünschen, es wird beschafft. Wir fragen nach Möglichkeiten für Auslandskontakte, Auslandsreisen für Ahmads Leute – er bejaht, da könne er helfen. Mit diesem weiteren Datum steigen wir wieder in sein Fahrzeug.
Da heute Donnerstag ist, sind so ziemlich alle Sehenswürdigkeiten geschlossen. Daher zeigt er uns eine weitere Institution - das neue Wissenschafts- und Technologiezentrum. Es handelt sich um eine neue Eliteuniversität, die oberhalb der Stadt aus der Südflanke der Alborzberge gehauen wird. Die Einfahrt zum gigantischen Gelände wird natürlich bewacht, aber unser Gastgeber als einer der Gastdozenten mit entsprechender Markierung auf der Windschutzscheibe natürlich eingelassen. Mehrere Kilometer schlängelt sich die Straße den Hang hinauf. Die Bergschräge wird stückweise abgetragen, ausgebaggert, um jeweils aus dem Aushub ein Plateau zu schaffen. Darauf entstehen seit einigen Jahren Bauten – Wohnheime, Medizingebäude, Fakultätsgebäude für Sozial-, Geistes- und Kulturwissenschaften, und Versuchsanstalten für uns Physiker – unter anderem ein kleiner Fusionsreaktor. Mit Stolz fährt uns unser Gastgeber durch die Bauten, lässt uns aussteigen, um Photos zu machen. Wieder ist der Wunsch nach der Vermittelung eines neuen, modernen Iran deutlich spürbar. Im Sonnenuntergang fährt er uns wieder hinunter. Der Verkehr hat uns wieder, und so kann er nicht parken, uns nur im Viertel der Buchgeschäfte absetzen, wo wir noch ein wenig stöbern, dann zu abend essen und schlafen gehen.
Den nächsten Tag, einen Freitag, lassen wir ruhiger angehen, schlafen etwas länger, gehen dann in einen der zahlreichen Parks der Stadt, den Laleh-Park. Hinter dem Eingang zeigt Abe mir die Statue eines Astronomen, Abooreihan Birooni. Das kommt nicht von ungefähr. Abe ist Mitglied, teilweise Leiter, eines landesweiten Hobbyastronomenvereins, der sich von Spenden finanziert und eine kleine Ansammlung von Teleskopen zusammengekauft hat. Sie treffen sich regelmäßig freitags in einem der kleinen Universitätsobservatorien, frühstücken, und besprechen ihre neuen Beobachtungen. Derzeit aber haben sie mit den Autoritäten um einen Raum zu kämpfen, der ihre Gerätschaften beherbergt, und zu dem sie trotz Zusage noch keinen Schlüssel besitzen.
Wir laufen durch den Park. Das herannahende Jubiläum der Revolution macht sich in einem einschlägigen Radioprogramm bemerkbar, das aus den Lautsprechern an Laternenpfählen scheppert. Die Leute kehren sich indes wenig daran. Auf den betonierten Flächen, den breiten, zwischen Grünflächen, Bäumen, Brunnen entlanglaufende Wegen üben sie verschiedene Sportarten aus, Fußball, Volleyball, Hockey und mehr, auch in gemischten Teams. An einer Ecke trainiert eine Folkloregruppe Säbelbewegungen.
Wir dürfen nicht lange verweilen, denn wir sind zum Mittagessen bei Abes Tante angemeldet. Ein Taxi bringt uns zum Gästehaus zurück, biegt nach einer Überführung falsch ab, ein Polizist stoppt ihn. Nach kurzer Debatte mit dem Fahrer heißt er uns aussteigen – sieht einen Wessi – und lässt es gut sein. Naja, endlich war ich mal von Nutzen. Wir greifen uns die fertig gepackten Taschen und begeben uns zur Tante, die Fahrt dauert nochmals eine Dreiviertelstunde – mit solchen Zeiten ist in einer so gigantischen Satdt zu rechnen. Der Blick auf den Stadtplan liefert ohne Erfahrung keine verlässlichen Schätzungen, was ich schon anhand des Unterschieds zwischen Heidelberg und Berlin erfahren durfte. Abes Tante ist mit einem Schiffsbauingenieur verheiratet. Auf einem Sims steht ein Kalender mit verschieden Schiffen, darunter einem Zerstörer und einem Schnellboot, für das laut Datenkasten MTU die Antriebe geliefert hat. Torpedos trägt es nicht, es ist laut Auskunft des Mannes für Überwasseraktionen mit leichten Geschützen gedacht.
Dieses Heim unterscheidet sich von den bisherigen dadurch, dass es keine Stühle und Tische hat – es ist das erste wirklich traditionelle. Auf dem großflächigen Teppich lassen wir uns zu einem üppigen Mahl nieder. Nebenbei spiele ich mit den beiden Nichten Abes, Mariam und Fatimeh, ein und sechs Jahre alt. Sie toben sich richtig aus, und fallen im Auto der Eltern, das uns zum Flughafen bringt, denn auch in tiefen Schlaf.