Heidelberger Aktivist in der Schusslinie des Verfassungsschutzes
Als im September 1995 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg die bundesdeutsche Praxis, politisch missliebige Menschen vom öffentlichen Dienst auszuschließen, als mit den Artikeln 10 und 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention unvereinbar rügte, hofften viele, es habe jetzt mit dem Berufsverbot ein Ende. Angefangen hatte der Spuk 1972 mit dem berüchtigten "Radikalenerlass", der zu seinen Hochzeiten schon PostbotInnen die Mitgliedschaft in der DKP als mit ihren Pflichten unvereinbar definierte. In einem immer repressiver werdenden Klima, in dem dem Grundrecht auf Eigentum alle anderen immer weiter untergeordnet werden, scheint nun aber auch das bereits totgeglaubte Berufsverbot wie in einem schlechten Romero-Film seine hässlichen Klauen erneut aus der Erde zu stoßen.
Scheint? Nun, es ist zwar noch kein Urteil gesprochen, aber der Heidelberger Realschullehrer M., der, wie das Oberschulamt zwischenzeitlich bestätigt hat, eigentlich zur Übernahme in den Schuldienst zum 1.2. vorgesehen war, wartet immer noch auf seine Stelle, weil, so das Amt, Zweifel an seiner, M.s, Verfassungtreue bestünden und das Landesamt für Verfassungsschutz noch einschlägige Tatsachen beibrächte -- de facto ein kleines, kaltes Berufsverbot, vielleicht in der Hoffnung, dem Betreffenden möge bis zur nächsten Einstellungsmöglichkeit die Geduld oder das Geld ausgehen und er könne das Interesse am Schuldienst so "verlieren".
Eine gewisse Perfidie darf den Agierenden wohl unterstellt werden, denn erste Zweifel an der Liebe des Realschullehrers zur Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung gesteht das Oberschulamt schon für den Sommer 2003 ein. Dennoch ließ man sich dort bis Mitte Dezember Zeit mit der Zustellung eines Schreibens, in dem der Bewerber zu einem "vertieften Einstellungsgespräch" geladen wurde, in dem insbesondere die "Mitgliedschaft[en] in Parteien oder Gruppierungen" Thema sein sollten. Genau dieses Gespräch wurde dann kurz vor Weihnachten zunächst ohne Begründung abgesagt und auf unbestimmte Zeit verschoben, da noch eine förmliche Anfrage beim Verfassungsschutz laufe.
Das Verfahren, dem sich M. derzeit unterziehen muss, ist an sich nichts Neues -- zwischen 1972 und 1990 wurden in der BRD 3.5 Millionen Anfragen an diverse Staatsorgane in Sachen Radikalenerlass gestellt, die in über 13000 Berufsverbots- und Disziplinarverfahren mündeten, die wiederum 1250 BewerberInnen ihre Einstellung und 265 öffentlich Beschäftigten den Job kosteten, und das auch noch nach einer harschen Kritik dieser Praxis durch die ILO im Jahr 1987. Diese Maschinerie beeindruckte unsere westlichen Nachbarn so nachhaltig, dass der Teutonismus "Berufsverbot" Eingang fand in die seit dem Edikt von Villiers-Cotterêts und durch die Académie Française so wohl gehütete Sprache von Liberté, Fraternité und Egalité.
Seit 1990 war nicht mehr viel zu hören vom Radikalenerlass -- Berufsverbote trafen, wenn überhaupt, allenfalls ehemalige Stasi-Schergen und anderes Service-Personal des untergegangen Regimes (so es denn nicht schnell genug in neue Dienste trat). Bis heute. Eine Rückkehr auch eines "harten" Berufsverbots würde in eine Zeit passen, in der unter dem Vorwand der Bekämpfung von Terrorismus und Kinderpornografie ein historisch einmaliges Überwachungssystem -- angefangen von "Black Boxes", die den Netzwerkverkehr auch am Ausgang vom URZ ins DFN mitschneiden über eskalierende Telefonüberwachung, Lauschangriffe und Zugangskontrolle bis hin zu Biometrie und genetic fingerprinting -- aufgebaut wird und gleichzeitig der Staat immer weitgehendere Ansprüche auf die Gedanken seiner BürgerInnen und DienerInnen (etwa in der Kopftuchfrage insbesondere der -innen) geltend macht.
Extra pikant an der Sache ist noch, dass derzeit keine Regelanfrage der Schulämter vorgesehen ist, also keineswegs die Vergangenheit und Gegenwart aller BewerberInnen für den öffentlichen Dienst automatisch durchleuchtet wird. Ob da vielleicht der Verfassungsschutz von sich aus aktiv geworden ist? Wenn, dann wäre es um so bedenklicher, dass die Vorwürfe, die bisher durchgesickert sind, eigentlich nur urdemokratische Angelegenheiten betreffen: M. habe einen Naziaufmarsch verhindert und sei bei Gedenkfeierlichkeiten für die Lechleitner-Gruppe, die während des zweiten Weltkriegs in Mannheim im Widerstand gegen das Naziregime aktiv war, aufgetreten.
Derweil wartet M. immer noch auf sein "vertieftes Vorstellungsgespräch".
Disclaimer: Dieser Artikel ist nicht als Warnung vor der Ausübung der Grundrechte und der Liebe zur Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung zu lesen. RomanistInnen unter unseren LeserInnen werden um Nachsicht und Korrekturen geben.
Dieser Artikel wurde zitiert am: 26.08.2004
Das Letzte aus der Eliterepublik
Vor einem Vierteljahr berichteten wir aus Studiengebührien, dass Roland "Hart durchgreifen" Koch sein hessisches Vaterland an das große, kalte Reich angliedern wollte und einige Einwände zu hören waren. Ende 2003 war es dann soweit, das Rhein-Mainische Parlament beschloss, nur wenig von Studis gestört, Kochs kreatives Gebührenmodell.
Am 24.2. folgte die SPD/PDS-Regierung in Berlin -- nein, nicht Koch, sondern dem ollen Trotha, der hier in Baden-Württemberg schon seit der letzten Wahl vergessen ist, und beschloss, dessen Straftausi zu kopieren -- ein klares Signal, dass die kreativen Aktionen der Berliner Studis im Wintersemester immer noch zu brav waren.
Der Hamburger "Skandalsenat" hatte eine ähnliche Regelung schon beschlossen, bevor seine Mitglieder nicht mehr miteinander reden wollten -- es lebe die Sachkompetenz! --, doch konnten sich die diversen Gremien an der dortigen Uni wohl mit Rücksicht auf die Studiproteste in der Hansestadt bis heute recht nicht zu einer Gebührensatzung durchringen. Während also der Urheber des Gesetzes in Albernheit untergeht und die Reste von Unidemokratie zaudern, ergriff nun der Unipräsident selbst die Initiative und ließ einfach mal so Gebührenbescheide verschicken. Dass sowohl die Bescheide wie auch das komplette Verfahren vor Formfehlern nur so strotzen, lässt ein interessantes juristisches Nachspiel erwarten.
Auf die Frage, wozu der Zirkus eigentlich aufgeführt wird, wird in verlogeneren Momenten schon mal der Sachzwang der angeblich leeren Kassen angeführt. Nun reicht ein halbes Auge, um zu sehen, dass die "leeren Kassen" politischer Wille und jedenfalls kein Sachzwang sind -- aber genussvoller ist diese Verlogenheit an den immer neuen Instrumenten für Pleite und Geldverschwendung erkennen. Aber zugegeben, Geld sinnvoll ausgeben macht einfach nicht so viel Spaß wie mutwilliges Verschleudern und die Finanzierung kleiner und großer Gemeinheiten.
Ein hübsches Beispiel ist hier das Elitegymnasium in Schwäbisch Gmünd, für das jetzt, wie Paradefrömmlerin und Kultusministerin Annette Schavan am 13.2. verkünden ließ, das "von Fachleuten erarbeitet[e]" Aufnahmeverfahren läuft, während die LehrerInnen noch fleißig überlegen dürfen, wie sie die künftige Elite auch richtig schlau machen. Die mindestens 8 Millionen Euro öffentlicher Mittel, die schon vor Unterrichtsbeginn in die Höhere-Kinder-Schule geflossen sind, kaufen übrigens, im Gegensatz zu früheren Planungen, nicht nur 160, sondern ganze 240 Plätze in den Klassen. Ob AbsolventInnen dieser Schule automatisch einen Platz an Baden-Württembergs Eliteuniversitäten bekommen oder dort nochmal durch -- weit weniger professionelle -- Auswahlverfahren durch müssen, wird die Redaktion in den nächsten Jahren mit Interesse verfolgen.
Aber auch am anderen Ende der Höhere-Bildung-Hackordnung, bei der McBildung für die "Massen", tut sich was -- oder eher nichts. Der Rektor der FH Esslingen hat nämlich in der letzten Woche vorgeschlagen, die Berufsakademien (BAen) in die Fachhochschulen einzugliedern, um so Verwaltungs- und Sachkosten zu sparen. Mag sein, dass er hier nur eine weitere Peanuts-Rechnung aufgemacht hat, ganz von der Hand zu weisen ist jedoch nicht, dass die Duplizierung der Strukturen, die der schon erwähnte Frankenberg-Vorgänger Trotha mit den BAen auf den Weg gebracht hat, um die Armen und vermeintlich Dummen von den Hochschulen fernzuhalten, einiges an Ressourcen verschlingt, die woanders vielleicht besser verwendbar wären.
Das Ministerium jedoch lehnt jedes Nachdenken in dieser Richtung ab, denn, wenn der Zweck stimmt -- Konkurrenz, Schärfung sozialer Gegensätze und ähnlich gesellschaftlich wertvolle Dinge -- spielt Geld in Studiengebührien eine noch kleinere Rolle als schon in der guten, alten sozial-marktwirtschaftlichen BRD. An diesen Zwecken im Allgemeinen und an der McBildung an den BAs im Speziellen hat Falk Roscher -- so heißt der Chef der FH Esslingen -- übrigens auch nichts auszusetzen. Nicht nur, dass er trotz seines freundlichen Angebots betont, es gehe nicht an, "so zu tun, als seien die Berufsakademien Hochschulen", seine ganze Uni ist auch bereits auf Bachelor und Master umgestellt.
Da ist es nur gut, dass nun auch das neue LHG -- in gegenüber der von uns bereits gewürdigten Fassung nur unwesentlich entschärfter Form -- dem Parlament zum Abnicken vorgelegt wird. Am 17.2. hat das Ministerium froh verkündet, die "Qualitätssicherung durch effiziente und wettbewerbsfähige Strukturen" sei nun auf dem Weg -- und damit natürlich auch der Big Brother. Nebenbei: Jedenfalls derzeit sollen die BAen nicht vom LHG geregelt werden, denn es geht vermutlich nicht an, dass... Na gut.
Einen Vorgeschmack des Typs guter Nachrichten, die diesen entschlossenen Schritten ganz bestimmt folgen werden, hat unabhängig davon das allseits beliebte IMPULSE-Projekt am 13.2. gegeben: "Wesentliche Verbesserung des Drittmittelberichtswesens" war da als Überschrift eines Rundschreibens zu lesen. Mensch lasse sich das auf der Zunge zergehen: Drittmittel-berichts-wesens-verbesserung, und wesentlich noch dazu. Das ist beeindruckende four levels remote. Mit dem neuen LHG schaffen wir bestimmt auch noch level five, es ist ja nicht wie bei armen Leuten.
Als weitere Maßnahme zur Erhöhung der Levels von Verordnungen ließ das Ministerium in einem Schreiben vom Januar 2004 die Unis gleich noch wissen, dass es seine Eckwerte für geisteswissenschaftliche Studiengänge aus dem letzten Jahrhundert doch noch für aktuell und anwendbar hält. Das wird einige Leute, die dachten, ihre Autonomie erstrecke sich auch auf die Gestaltung von Studiengängen, sicher enttäuschen. Doch wer geglaubt hat, bei der Novellierung der Hochschulgesetze ginge es auch oder vor allem um Autonomie, wird wohl auch zu naiv sein, um selbst den besten Studiengang durch die nun zwingend vorgeschriebene Akkreditierung zu bringen.
Ob das nun eine gute Nachricht zum Ende war, wagt die Redaktion nicht zu beurteilen.
Dieser Artikel wurde zitiert am: 14.04.2004