Frankenberg schafft SPVO ab
Publicity-Stunts sind für das MWK nichts neues -- mutig eine Niederlage als Sieg oder einen desaströsen Flop als die Wucht in Tüten zu verkaufen ist für eine Ansammlung dilettierender Dogmatiker wie eben das Ministerium eine klare Schlüsselkompetenz, ja Lebensnotwendigkeit. Das jüngste Beispiel ist allerdings besonders spektakulär.
Der Hintergrund: Letztes Jahr stritt ein Tübinger Student -- von der Öffentlichkeit kaum bemerkt -- vor Gericht um sein Zeugnis. Er hatte entdeckt, dass das Land 2001 im Zuge einer der üblichen Deregulierungen reguliert hatte, wie Studien- und Prüfungsordnungen auszusehen hätten -- angeblich, weil mit der damaligen UG-Novelle die Rechtskontrolle des Ministeriums über die Unis gelockert worden sei. Die entsprechende Verordnung, SPVO genannt, war so geheim, dass die meisten Unis und alle Menschen, die Studien- und Prüfungsordnungen schrieben, sie nicht kannten -- auch für uns war es nicht ganz einfach, ihren Text auszugraben -- und doch: Zwischen 2001 und 2005 durften in Baden-Württemberg innerhalb einer Regelstudienzeit von 8 Semestern höchstens 14 Prüfungsleistungen verlangt werden (die SPVO hatte auch noch einige andere Regelungen, doch spielen die für diese Geschichte keine Rolle).
Faszinierenderweise wusste offenbar auch im Ministerium niemand von der eigenen Verordnung, denn natürlich hatte sich das Ministerium in der ach so hochschulautonomen UG-Novelle von 2001 das letzte Wort über alles vorbehalten, hatte aber nie etwas gegen nicht SPVO-konforme Prüfungsordnungen unternommen. Es gibt Fächer, in denen zwischen 40 und 50 Prüfungsleistungen -- also über dreimal mehr als erlaubt -- verlangt werden.
Der Tübinger Studi hatte jetzt argumentiert, dass die vielen Prüfungsleistungen seiner Studienordnung sein Studium verzögerten und ihn gar in die Strafgebührenpflicht trieben -- und dass er deshalb ein Recht habe, sein Zeugnis bereits mit weniger Prüfungsleistungen zu bekommen. Uns ist leider nicht bekannt, wie der Prozess ausging, doch es wird gemunkelt, das MWK habe mit dem Studi einen Vergleich des Typs "Du hältst deinen Mund zu allem, was in diesem Raum gesagt wird, und dafür bekommst du dein Zeugnis" geschlossen.
Das Ministerium hat daraus eins gelernt: Verordnungen, auch wenn sie als "Eckwertepapiere" daherkommen, sind zweischneidig, vor allem, wenn sie offenbar von Bürokraten minderer Kompetenz verfasst werden. Eine Verordnung, die eher zur Gängelung der Unis gedacht war, konnte plötzlich zugunsten der Studierenden ausgelegt werden und wurde von den Unis auch noch ignoriert -- und wäre wohl weiterhin ignoriert worden. Um eine solche Verordnung umzusetzen, hätte es sowohl an der Uni als auch in Stuttgart Leute gebraucht, die (ggf. ihre eigenen) Erlasse über Prüfungsordnungen und die Prüfungsordnungen selbst verstehen -- fat chance.
Die Situation war also ernst, zumal mensch nie weiß, wie zuverlässig Schweigegelübde halten. Frankenberg, mal wieder ganz Macher, ließ die Notbremse ziehen und die erwähnte SPVO aufheben. Einem gewaltigen PR-Desaster knapp entkommen, setzt nun der Minister in einer geradezu dialektischen Presseerklärung gleich zu einem neuen Angriff an. Sein Glück ist, dass kürzlich das neue LHG verabschiedet wurde und er zur Verabschiedung schon getönt hatte, im Gesetz werde die Hochschulautonomie gestärkt (auch das kann natürlich getrost als realitätsferner PR-Stunt abgehakt werden). Da passt es gut, wenn Frankenberg jetzt, offenbar ohne rot zu werden, verkündet, die Panikaktion mit der SPVO belege "erneut, dass wir -- wie bei unserem Landeshochschulgesetz insgesamt -- den liberalen Weg der Eigenverantwortung in einem wettbewerblichen Hochschulsystem zu unserem politischen Credo gemacht haben". Geil.
Jetzt also können die Hochschulen schalten und walten, wie sie wollen (solange sie walten, wie es dem Minister genehm ist). 63 Klausuren im Grundstudium sind jetzt ebensowenig ein Problem wie 24. Beides wird dem Minister genehm sein, denn wenn es um das Hochschrauben vermeintlicher Leistungsanforderungen geht, sind sich Rektoren und Minister selten unangenehm.
Vielleicht hat aber auch die Uni Heidelberg aus dieser Affäre gelernt, denn das berüchtigte Dezernat 2 der ZUV ("Studium und Lehre") hat jüngst eine Stelle für für eineN wissenschaftlicheN MitarbeiterIn "zur Umsetzung der Studienstrukturreform" ausgeschrieben, wohl um dem endlosen Murksen in diesem Bereich etwas Struktur zu geben und jemanden zu haben, der/die die Papierflut aus etlichen Ministerien und Kommissariaten mit ihren munteren Vorschriften, wie Studiengänge auszusehen hätten, zu überschauen. Wörtlich heißt es in den Anforderungen an die BewerberInnen: "Sie verfügen über [...] einschlägige berufliche Erfahrungen im Hochschulbereich und sind mit den aktuellen Entwicklungen der Studienreform bestens vertraut. Sie verfügen über herausragende kommunikative Fähigkeiten sowie Überzeugungs- und Konfliktfähigkeit." Wenn das nicht wie die Beschreibung eines/r UNiMUT-MitarbeiterIn klingt...