Schlechte und gute Argumente gegen Studiengebühren

Das Richtige im Falschen (und das Falsche im Richtigen) (2.2.2005)

Die Diskussion über Studiengebühren wird im Rahmen der politischen Auseinandersetzungen im Gefolge der Entscheidung des Verfassungsgerichts gegen HRG6 eher zu- als abnehmen. Unterdessen haben die BefürworterInnen der Gebühren mittlerweile jede intellektuelle Scham abgelegt und überbieten sich in möglichst grotesken Argumenten ("erhöhen die Bildungsbeteiligung"). Da alle gültigen Argumente für Gebühren ("Bildungsmarkt", "knappe Kassen") die jeweiligen Interessen allzu deutlich machen und damit unattraktiv sind, verwundert das nicht weiter, enthebt uns aber weitgehend der Notwendigkeit einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den diskursiven Offenbarungseiden aus Berlin, Stuttgart und Gütersloh.

Da aber die finanziellen Ressourcen der diversen Propagandaabteilungen nun mal so verteilt sind, dass wir begründen müssen, warum wir keine Studiengebühren haben wollen, lohnt sich ein wenig Nachdenken, welche Argumente fortschrittliche Menschen hier verwenden sollten und welche lieber nicht -- denn schlechte Argumente gibt es doch einige. Diese müssen nicht zwingend falsch sein, doch öffnet ihre Verwendung unsere Flanken kilometerweit für Gegenangriffe, und zum Teil kommen sie auch genau aus der reaktionären Denke, die Studiengebühren überhaupt erst als mögliche Lösung -- ja, wofür eigentlich? -- erscheinen lassen.

Hier also die UNiMUT-Argumentationshilfe:

Schlechte Argumente

"Wissen ist der einzige Rohstoff Deutschlands..."
Das erste Problem dieses Arguments ist, dass es sich auf die platte Ökonomisierung von Bildung einlässt. Daraus ergibt sich zwangsläufig, dass der Wert von Fächern und, schlimmer noch, Inhalten an der durch sie realisierbaren Wertschöpfung gemessen wird. Auch mit wenig Mathematik ist schnell auszurechnen, welche Sorte Uni dabei herauskommt. Das zweite, vielleicht noch wesentlichere Problem: Das Argumentationsmuster des von allen Seiten bedrohten Deutschlands, dessen BürgerInnen Einschnitte hinnehmen müssen, um es vor dem sicheren Untergang zu bewahren, ist nicht nur hochreaktionär und faktisch absurd, sondern konstruiert auch noch andere Staaten als Bedrohung. Hatten wir sowas nicht irgendwann mal zu den Akten legen wollen? Aber auch der "friedliche Wettbewertb der Nationen" bringt es mit sich, dass Missstände aus anderen Ländern (wie eben Studiengebühren oder faktisch nicht existente soziale Absicherung) im Interesse der Nation auch bei uns eingeführt werden "müssen". Die Folgen solchen Räsonierens kennen wir aus dem race to the bottom, das sich gegenwärtig im Bereich der Rechte abhängig Beschäftigter abspielt und das konsequenterweise damit enden muss, dass die BRD ihre Sozial- und Umweltstandards an die Indiens oder Chinas anpassen muss (und diese die ihren in der Folge weiter "anpassen" werden, der Konkurrenzfähigkeit wegen).
"...die Chancengleichheit geht verloren..."
Hieran ist vor allem der Begriff "Chancengleichheit" Mist, dessen primäre Funktion ist, die herrschende Ungleichheit zu rechtfertigen. Das geht so: In unserer freien Gesellschaft haben alle die Chance, vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden; wer also Tellerwäscher bleibt, ist selbst Schuld und verdient keine Solidarleistung. Angesichts der realen Verhältnisse (vgl. im Bildungsbereich etwa die PISA-Ergebnisse zur sozialen Determination des Bildungsweges) ist das natürlich eine völlige Fiktion, und eine "Chancengleichheit" wird es schlicht nie geben, ohne allen Menschen gleichen Zugang zu den gesellschaftlichen Reichtümern zu geben. Genau das aber wollen die "Chancengleichheit"-Sager nicht, denn sonst würden sie ja Gleichheit sagen. Ansonsten hat das Argument natürlich die Schwäche, dass es Unis als Mittel zum sozialen Aufstieg definiert, und eben diese Zuschreibung ist das gegenwärtige Hauptproblem der Unis.
"Das Geld verschwindet eh im Haushaltsloch..."
Und wenn es das nicht täte, wäre eine Individualisierung der Bildungsfinanzierung ok? Praktisch mag die Analyse ja unangreifbar sein, aber mensch begibt sich damit in eine ausgesprochen prekäre Position, die so tut, als sei an den Unis wirklich mit Geld viel zu retten, als sei das Problem nur, dass halt seit ein paar Jahren "die Kassen leer" seien (wozu zumindest mal zu erklären wäre, wo denn das ganze Geld hingekommen ist). Wäre es ein gültiges Argument, müsste die Gegenseite überdies schließen, "die Studierenden" als Gruppe hätten jede Menge Geld, das sie gerne für eine "Verbesserung der Lehre" ausgeben würden. Das ist Quatsch -- siehe auch unten, "erwachsene Menschen".
"Es gibt kein Stipendienmodell..."
Auch hier: Was würde sich ändern, wenn es eins gäbe? Zunächst, dass Menschen mit armen Eltern mit Gebühren unter deutlich stärkerem "Leistungs"druck stünden. Wer Geld hat, könnte weiterhin bis zum Examen studieren, wer kein Geld hat, könnte an einer Zwei in der Orientierungsprüfung schon scheitern. Es ist natürlich nicht schlecht, wenn allerlei Gruppen Stipendienprogramme auflegen (angesichts der Verteilung freier Mittel in der Gesellschaft dürften die damit verbundenen Interessen allerdings in der Regel nicht allzu altruistisch sein), im Zusammenhang mit der Studiengebührendebatte allerdings demontiert diese Sorte Argument alles, was mensch sonst noch vorbringen könnte.

Gute Argumente

Bildung ist Menschenrecht
...und somit genausowenig Handelsware wie Schutz vor Folter oder die Meinungsfreiheit. Bildung ist tatsächlich Voraussetzung für Demokratie, denn Menschen, die keine Vorstellung von einer Milliarde haben, werden kaum informierte Entscheidungen über politische Prozesse fällen können. Richtig ist, dass es schon jetzt genug Menschen gibt, die so eine Vorstellung nicht haben -- wer aber die Prämisse akzeptiert, wird sich auch auf eine Diskussion über Möglichkeiten der Ausweitung und Verbereiterung von Angeboten zur höheren Bildung einlassen müssen. Und das wäre eine instantane Rettung eines ansonsten reichlich überflüssigen Diskurses.
Bildung ist keine Ware
...und ihre Handelbarkeit (bzw. die Handelbarkeit dessen, was dann unter Bildung firmiert) wird Charakter und Inhalt von Hochschulen ganz entscheidend beeinflussen. Die Steuerungswirkung ökonomischen Drucks auf die Studienfachwahl ist allzu offensichtlich -- vom Absterben ganzer Wissenszweige und dem folgenden Verlust an Errungenschaften der Menschheit bis hin zu noch tieferen, für Märkte nun mal charakteristischen "Schweinezyklen" ist da an Szenarien alles drin -- und in Staaten, in denen Studiengebühren bereits Realität sind, auch recht weitgehend nachzuweisen.
"Es ist genug Geld da", Teil I
Wäre die auf der Gegenseite als für so ungefähr jeden Zug am enger zu schnallenden Gürtel zu hörende Entschuldigung, es sei kein Geld mehr da, nicht nur vorgeschoben, würden Studiengebühren auch nichts helfen -- Geld, das nicht da ist, kann weder Staat noch Studi aufbringen. Tatsächlich ist aber genug Geld da, es ist eben nur, unter anderem dank so genannter "Reformen" im Sinne marktliberaler Ideologeme, in privater Hand. Ein Staat, der, aus welchen Gründen auch immer (und die waren bei der Öffnung der Hochschulen in den 60er und 70er Jahren auch nicht so toll), breite Bildungsbeteiligung wünscht, kann sich die zur solidarischen Finanzierung der Hochschulen nötigen Mittel mühelos beschaffen und kann so gleich noch einen allzu groben Durchgriff privater Interessen auf die Hochschulen vermeiden. So ein Durchgriff nun wäre angesichts der bei Privatmitteln in der Regel völlig fehlenden demokratischen Kontrolle noch schlechter als die staatliche Aufsicht, mit der wir gegenwärtig irgendwie leben müssen. Dass diese auch nicht der Weisheit letzter Schluss ist, ist klar. Aber wer erstmal über gesellschaftliche Kontrolle der Bildungsinstitutionen redet, hat wenigstens ein lohnenderes Thema als ausgerechnet Gebühren.
"Es ist genug Geld da", Teil II
Die an den Unis zweifellos vorhandenen Probleme sind aber mit Geld ohnehin nicht zu lösen. Sie sind durchweg Strukturprobleme, beginnend bei Rektoraten, die Millionen in Biochem-Zentren, Protzbauten, Edelberufungen und goilen Großgeräten versenken. Tatsächlich wäre der wichtigste Schritt zu Unis, die sich tatsächlich als Institutionen der Wissensvermittlung und -vertiefung verstehen, aber eine Umdefinition ihrer gesellschaftlichen Rolle. Solange ein Studium von den meisten Studierenden als Hürde auf dem Weg zum guten Job und der tollen Karriere angesehen wird -- und diese Wahrnehmung überdies auch noch sachlich richtig ist --, wird Lehre weitgehend dysfunktional bleiben.
"Studis sind erwachsene Menschen"
...und nicht die Kinder ihrer Eltern. Ohne die finanzielle Unterstützung ihrer Eltern gehören sie aber zu den sozial Schwächsten der Gesellschaft (sofern sie nicht geerbt haben und es etwas zu erben gab). Ihnen und ihren prekären Jobs zwischen Wihi und Kneipenbedienung die Finanzierung der tertiären Bildung (und womöglich noch die der Forschungshobbys der ProfessorInnen) aufzubürden, widerspricht jeder Vorstellung einer Solidargesellschaft und ist wohl auch der Funktion der Uni kaum zuträglich. Setzt mensch aber umgekehrt die finanzielle Unterstützung durch die Eltern voraus, bleiben die Studierenden in eklatanter Abhängigkeit von ihren Eltern. Wer das möchte, soll das wenigstens laut sagen.
"Der Arzt soll das Studium der Tochter der Aldi-Kassiererin mitfinanzieren"
Dieser Punkt ist eine Richtigstellung des bei Gebührenfundis so beliebten "Fliesenlegerarguments", nach dem Studiengebühren die enorme Ungerechtigkeit bereinigen, dass die Aldi-Kassiererin (wahlweise auch die Fliesenlegerin) über ihre Steuern das Studium des Arztsohnes mitfinanziert. Abgesehen davon, dass dieses "Argument" dreisterweise unterstellt, dass sich an der ungleichen Bildungsbeteiligung von Ober- und Unterklasse nichts ändern wird und soll, ist es natürlich kompletter Unfug, denn (siehe oben) hat der Arztsohn a priori erstmal nicht mehr Geld als die Tochter der Aldi-Kassiererin. Wenn mensch allerdings anfängt, das elterliche Einkommen für die Studiengebühren in Anspruch zu nehmen, wird erst recht klar, dass diese nur dem Arztsohn helfen -- dieser kann sich immerhin vom Papa finanzieren lassen, während die Tochter der Kassiererin selbst mit dem elterlichen Einkommen niemals die Gebühren aufbringen könnte. Eigentlich ist dieser Punkt zu simpel, um ihn überhaupt hinzuschreiben, aber da die Dummheit der Argumente der Gegenseite keine Grenzen kennt, tun wirs doch: Solidarfinanzierung hilft fast immer den wirtschaftlich Schwächeren, und tut sie es nicht, muss das Steuersystem geändert und nicht die Solidarfinanzierung abgebaut werden.

Halbschlechte Argumente

"Studiengebühren destabilisieren die Wirtschaft..."
Es ist abzusehen, dass bei wirtschaftlich relevanten Studiengebühren zumindest Mittelschichteltern mehr oder weniger nach der Geburt ihrer Kinder anfangen werden, in "College Funds" einzubezahlen, spezielle Geldanlagen also, aus denen später die Gebühren bezahlt werden. In den USA ist das totale Vermögen in solchen Fonds erstaunlich hoch und trägt massiv bei zu der extremen Volatilität der Kapitalmärkte, während es -- das als kleiner Hinweis an SozialdemokratInnen -- dem privaten Konsum ("Inlandsnachfrage") entzogen wird. Allerdings muss das nicht unbedingt unsere Sorge sein, und die Verwendung von Argumenten dieser Art setzt immer eine gewisse Kenntnis politischer Ökonomie voraus, damit sie nicht in (kreuzfalsche) Unterscheidungen zwischen "schaffendem" und "raffendem" Kapital abgleitet.
"Die Gleichartigkeit der Lebensbedingungen in den Ländern..."
Es ist natürlich klar, dass ein Bundesland, das in einem Meer kommerzieller Bildung keine Studiengebühren nimmt, recht bald hoffnungslos überfüllte Unis hat. Das muss nicht zwingend nur negativ sein, dürfte sich aber bis zu einer Neudefinition der Funktion von Hochschulen und begleitenden Änderungen ihrer Strukturen sicher nicht positiv auf die Studienbedingungen auswirken. In dem Sinn ist klar, dass von Gleichartigkeit der Lebensbedingungen bei landeseigenen Gebührenkonzepten nicht die Rede sein kann. Allerdings würden Gebühren auch nicht besser, wenn die Länder sich jetzt auf einen Staatsvertrag einigen und die Gebühren im Gleichschritt anziehen würden oder sie umgekehrt den Unis selbst die Gebührenhöhe freistellen. Beide Szenarien sind angesichts der auf allen Seiten vorherrschenden Gier ohne weiteres denkbar, solange auch für alle ein wenig abfällt.
"...verschärfen die soziale Selektivität..."
Das wäre an sich ein gutes Argument, das nur von besonders zynischen HeuchlerInnen auch nur einen Moment bestritten würde. Leider aber hat Studiengebührenfreiheit die soziale Selektivität unseres Bildungssystems auch nicht wesentlich entschärft, was das Argument sehr stumpf macht. Wer es dennoch einsetzen möchte, sollte sich auf eine Diskussion über das Schulsystem einerseits und eine Grundsicherung für Studierende andererseits vorbereiten. Das ist gewiss nicht schlecht, und einige der Argumente oben sind auch da durchaus anwendbar -- nur lässt sich anhand der von 1970 bis 2005 angesammelten Daten keine große Verteidigung in der Studiengebührenfrage auf diesem Punkt aufbauen.

Diese Liste ist nicht erschöpfend, und die Diskussion der Argumente bei weitem nicht so ausführlich, wie sie sein könnte; Die Redaktion freut sich daher auf weitere Beiträge unter unimut@urz.uni-heidelberg.de.

Nachtrag (4..2.2005): Der SPD-Landtagsabgeordnete für Heidelberg, Claus Wichmann, hat uns auf diesen Artikel hin ein eigenes Thesenpapier geschickt. Wir spiegeln das hier weniger, weil wir mit der SPD sympatisieren (die ja mit Zöllners Studienkonten auch ein halboffizielles Gebührenmodell bereithält), sondern weil (a) Wichmann tatsächlich das eine oder andere Argument aus der Kategorie "halbschlecht" bringt (na gut, vielleicht tendieren manche sogar schon Richtung "gut") und (b) zu befürchten steht, dass mensch auch die Landtags-SPD irgendwann an diese Worte wird erinnern müssen.

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Dieser Artikel wurde zitiert am: 09.03.2005, 04.05.2005, 19.04.2006