Studiengebührendiskussion, bis alle kapitulieren
Es juckt in den Fingern, die Terminwahl zu kommentieren: Augerechnet am 9.11. will das Bundesverfassungsgericht über die Klage verschiedener Länder gegen HRG6 entscheiden -- aber die politische Moral verbietet diesen Kommentar. HRG6, ihr erinnert euch, war die sechste Novelle des Hochschulrahmengesetzes, mit der der Bund den Ländern einerseits verfasste Studierendenschaften (also Studivertretungen mit wenigstens elementaren Rechten) vorschreiben wollte, andererseits aber auch ihre Möglichkeiten, Studiengebühren in großem Stil einzunehmen, etwas begrenzte. Beides ärgerte unter anderem unser MWK so, dass es nicht nur dagegen klagte, sondern diese bundesweiten Regelungen auch in keinster Weise im gegenwärtig beratenen Entwurf für ein neues Landeshochschulgesetz berücksichtigte.
Das MWK käme in Bedrängnis, wenn HRG6 nicht bis zum Jahresende von Karlsruhe kassiert würde, da Bundesrecht innerhalb bestimmter Fristen in Landesrecht umgesetzt werden muss und diese Frist für das HRG6 am Ende dieses Jahres ausläuft. Nun aber hat sich das Verfassungsgericht gesputet und nutzt die kommende Entscheidung gleich für ein wenig PR, denn ZuschauerInnen sind diesmal herzlich willkommen: Der 9.11. ist Tag der offenen Tür bei den Damen und Herren in den edlen Roben (kein Scheiß!). Es kann allerdings sein, dass die Bundesrichter den Terminus "offene Tür" etwas anders verstehen als beispielsweise der Bürgermeister von Mückenloch. Bevor ihr euch also auf die etwa einstündige Reise (ab Heidelberg Hbf) zum Schlossbezirk 3 in Karlsruhe macht, solltet ihr euch sicherheitshalber unter 0721/9101-461 nach den augenblicklichen Konditionen an diesem Tag der offenen Tür erkundigen.
Lohnen wird sich dieser Ausflug in den Rechtsstaat ganz gewiss, denn nach dem (für mit der Materie Beschäftigte schwer zu verstehenden und die Uni-Verwaltungen mittlerweile schwer beschäftigenden) Urteil zu HRG5 würde es trotz des damaligen Minderheitenvotums schon fast an ein Wunder grenzen, wenn Karlsruhe seine Signale an die Föderalismuskommission (die derzeit die Kompetenzen von Bund und Ländern neu austarieren möchte) plötzlich umstellen und die Bundeskompetenz für solche Regelungen anerkennen würde. Nein, sehr wahrscheinlich werdet ihr Zeuge werden, wie MWK-Boss Frankenberg einen Luftsprung macht, wenn er endlich Studiengebühren nehmen darf, so viel er will -- Pläne dazu liegen längst in der Schublade.
Eher hilflos gerieren sich unterdessen die Grünen, die mittlerweile fest an den "Sachzwang der leeren Kassen" und damit an ihre Verpflichtung glauben, Studiengebühren in ihrem Sinne zu "gestalten". Warum sie glauben, sie "gestalten" zu können, wenn sie doch so fest überzeugt sind, sie nicht verhindern zu können, bleibt dabei natürlich unklar, aber dies ist halt "alternativlose Modernisierung", Punkt. Wie modern die Grünen in dieser Hinsicht inzwischen sind, wurde am 22.9. wieder mal überdeutlich, als nämlich die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) ihr Bekenntnis zu Studiengebühren vorgelegt hat, und zwar mit CHE-Boss Detlef Müller-Böling und Grünen-Fraktionchefin Krista Sager -- ein passendes Analogon wäre wohl, wenn Jürgen Trittin mit dem Vorstandschef von RWE-Nukem über die Zukunft der Atomenergie philosophieren würde, denn das CHE, eine Investition der Bertelsmann-Stiftung in die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), hat das erklärte Ziel, Studiengebühren in der BRD durchzusetzen und hat diese Debatte in den letzten 10 Jahren fast im Alleingang in die Öffentlichkeit gedrückt -- ein paar der Hintergründe hatten wir vor gut einem Jahr in unserem Treuhandkonto-Special dargelegt.
Hinhaltenden Widerstand innerhalb der Grünen leistet immerhin noch das Bündnis grün-alternativer Hochschulgruppen, dessen Sprecher Christian Beck verlauten ließ, demokratisiertere Hochschulgremien (womit wir kurz wieder HRG6 und die VS streifen) täten Not, "Gutscheine statt Demokratie wie im HBS-Konzept würden dagegen bei Studierenden ein passives Selbstverständnis als Kunde fördern. Damit widerspricht das HBS-Konzept seinem eigenen republikanischen Anspruch." (Fast unzusammenhängende Trivia-Frage zur Auflockerung: Wie viele Jahre vergingen zwischen dem letzten Wahlkampf, in dem die Grünen den Austritt der BRD aus der NATO forderten und dem Beginn des Kosovokrieges unter Josef Fischer? Was lernen wir daraus über die Wandlungsfähigkeit grünen Geistes?)
Nur wenig pointierter fällt die Kritik von Klemens Himpele, dem Geschäftsführer des ABS, aus: "Die nachfrageorientierte Hochschulfinanzierung ist seit längerem im Gespräch grundlegend kritisiert worden. Eine Umstellung der Finanzierung der Hochschulen auf ein Angebots-Nachfrage-Schema wird massive Veränderungen in der Studienstruktur mit sich bringen und letztlich eine Aufspaltung in teure Hochschulen und 'Aldi-Hochschulen' nach sich ziehen". Sascha Vogt, Mitglied im Vorstand des fzs, bemerkt noch weiter, es sei bedenklich, dass die Grünen ihr Konzept zusammen mit dem CHE vorstellen: "Das macht deutlich: Diese Partei hält nichts mehr von demokratischen Auseinandersetzungen, sondern lässt sich ihre Programme von nicht legitimierten und selbst ernannten 'Denkfabriken' schreiben."
Noch "moderner" als die Grünen ist natürlich die BDA (ausgeschrieben: Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände -- einer der bemerkenswerten Fälle, in denen die Abkürzung weniger Desinformation als die Langfassung enthält). Dementsprechend ist das Gebührenmodell, das dieser am 29.9. vorstellte (gruseligerweise hatte sich die BDA ausgerechnet Frankenberg als Mentor zur Pressekonferenz einbestellt), auch noch fieser. Darin finden sich normale Studiengebühren (500 Euro pro Semester), Studienkonten (zusätzlich bis zu 750 Euro pro Semester, je nach dem, was mensch so an Kursen belegt) und obendrein eine Abschaffung des BAföG. Großzügigerweise möchten die so genannten Arbeitgeber den Studierenden aber eine Art modernisiertes BAFF gönnen, das auf eine Schuldenbelastung von rund 35000 Euro nach dem Studienabschluss hinausläuft, up from maximal 10000 Euro nach einer BAföG-Förderung. Das BAFF übrigens, mittlerweile völlig in der Versenkung verschwunden, war vor Jahren mal ein grüner Vorschlag zur elternunabhängigen Studienfinanzierung -- im Gegensatz dazu hängt ja ein BAföG-Anspruch vom Einkommen der Eltern ab --, das aber ebenfalls letztlich auf einen weiteren Abbau solidarischer Bildungsfinanzierung beabsichtigte.
Für ein "Konzept" sind solche Zahlen schon recht bemerkenswert, denn üblicherweise steigen die Kosten nach der Einführung solcher Systeme relativ schnell sehr dramatisch an -- wir würden bei sofortiger Einführung des BDA-Vorschlags für 2010 mit etwa 100000 Euro Gesamtbelastung für ein Hochschulstudium rechnen. Eine Goldmine für die Anbieter von College Funds und ähnlichen "Bildungsversicherungen" für mittelständische Eltern, die mal was aus ihren Kindern machen wollen.
Aber zum Glück ist das alles mal wieder Gerede. In Wirklichkeit wird es dann wohl doch "nur" auf 500 Euro nachlaufende Studiengebühren im nächsten Jahr (also ein Preisnachlass für die, die jetzt schon 511,29 Euro "Langzeitgebühren" zahlen müssen) und im Schnitt vielleicht 1000 Euro pro Semester sofort zahlbare Gebühren im Jahr 2010 hinauslaufen. Oder eben auch nicht, wenn der Schwall von Marktgeschwätz, der ganz sicher auf das Urteil des Verfassungsgerichts folgen wird, an den Unis des Landes für ausreichend Unruhe sorgt.
(Auflösung des Trivia-Quizzes: Im 1998er-Wahlkampf waren die Grünen noch mit NATO-Austritt angetreten, die NATO begann im Frühjahr 1999 den Krieg gegen Fötengrille und Hufeisenpläne unter eifriger Beteiligung der Bundeswehr-- mithin verging eigentlich nicht mal ein Jahr. Was daraus für die Wandlungsfähigkeit folgt, müsst ihr nach euerem eigenen Urteilsvermögen entscheiden.)
Dieser Artikel wurde zitiert am: 20.12.2004, 26.01.2005