Ein Fortsetzungsroman über eine Kurklinik der Weltklasse.
Anmerkung der Redaktion: Wie jeder gute Fortsetzungsroman, so hat auch Kurhotel Kurfürst Karl epische Dimensionen. Die Folgen 1 bis 15 gehen zurück bis weit ins letzte Jahrhundert, und so sind viele der damaligen Protagonisten längst vergessen -- von Peterle spricht niemand mehr, Rainers beste Jahre liegen weit zurück, Herbart Dreitag ist vor langer Zeit aus der Gastronomiebranche in den Ruhestand gewechselt, und 2006 folgte ihm der Starkoch Yves Uppie. Den Namen von Verwaltungsdirektor Schwacht kennt heute kaum mehr jemand, zumal er wirklich profilierte NachfolgerInnen hatte. Dr. Geier und Dr. Streich allerdings haben sich furchtbar vermehrt und wandeln ganz wie Agent Smith ("Matrix") in Klonscharen über unsere Welt. Herren wie Waldemar Uri, Herr Tricks, Herr Bieb und Herr Brummerer aber sind auch 2006 noch unter uns, als Originale, die wir manchmal mehr, machmal weniger und manchmal gar nicht missen wollen. Wer weiß, vielleicht seht ihr sie ja, wenn ihr über die weite Alp schreitet?
Was bisher geschah: Große Dinge tun sich im Kurhotel Kurfürst Karl: Prof. Dr. Peterle, Chef des altehrwürdigen Etablissements, hat seine rechte Hand, Dr. G. Rainer, zu sich zitiert. Die beiden sitzen im Herzen der Anlage, dem ehemaligen Untersuchungszimmer, in schweren Ledersesseln, und haben die Stirn in Falten. Ein Kachelofen steht in der Ecke, doch längst hat das Hotel Zentralheizung.
"Unsere Gäste müssen schneller gesund werden," knurrt Peterle. "Wir können es nicht dulden, daß in unserem Haus vierzehn Tage lang alle Privilegien genossen werden. Sie wissen, der Steuerzahler. Wir brauchen mehr Eigenbeteiligung der Patienten."
Rainer, der im Hotel von allen Heuler genannt wird, ist in seinem Element: "Mehr als das. Wir müssen die Qualität der Heilung sichern. Ich schlage vor, eine Zwangsuntersuchung nach zwei Tagen einzuführen. Wer dann noch keine Anzeichen einer Besserung zeigt, wird des Hotels verwiesen."
"Richtig, das ist gut, Heuler. Zusätzlich führen wir Therapiegutscheine ein. Wer seine acht Gutscheine verbraucht hat, fliegt auch."
Dr. Rainer ist hingerissen, die angegrauten Herren reden sich immer weiter in Begeisterung, bis sie schließlich aufstehen und zu einem schauerlichen Gesang um den Tisch tanzen:
"Kranke Menschen wolln wir nicht,
erbarmunglos sei
das Gericht:
wer hier nur billig schluckt Tabletten,
und sich
nicht rührt in weichen Betten,
der muß weg!
Nix wie weg!
Wem
die Gutscheine nicht reichen,
fröhlich wir die GeFög streichen.
Leise klirren die Weingläser aus feinstem Kristallglas. Rot funkelt der Wein in der Abendsonne.
Wird Peterle seine Gutscheine einführen? Und G.Rainer die Zwangsuntersuchung? Wie ist die Zukunft der Therapie im Kurhotel Kurfürst Karl? Und was befindet sich im Ofen?
Was bisher geschah: Prof. Peterle und Dr. G. Rainer haben sich getroffen und Wein getrunken. Die Abteilung für ästhetische Therapie ist verärgert über die Pläne der beiden Herren, Patienten rauszuwerfen, noch bevor sie ihr erstes Werk vollendet haben würden.
Das Cafe Titanic ist der Treffpunkt der Schönen und Reichen im Kurhotel. Im Südwesten des großen Restaurants gelegen, bezieht es seinen Charme vor allem aus dem reizvollen Kontrast zwischen dem Interieur im Stile eines Wiener Cafehauses und einer Architektur, die eher an den rauchgeschwängerten Maschinenraum eines alten Überseedampfers gemahnt: Unverputzte Wände, korrodiertes Metall, wie zufällig im Raum verteilte rohe und kahle Rohre.
Es ist Nachmittag, und fast alles ist wie immer: Freundliche Bedienungen huschen zwischen den Tischen, Gäste plaudern entspannt, dezente 120 beats per minute sorgen für Atmosphäre, ein paar Blicke richten sich auf Boris Becker, der auf einem Fernsehschrim die Bälle schlägt. Und doch, es ist nicht alles wie immer, Kunstschänder sind in der vorangegangenen Nacht in das Cafe eingedrungen und haben Rohre und Wände in höchst infantiler Weise mit allerlei Ornamenten beschmiert.
Von diesem Frevel an postmoderner Architektur erfuhr auch bald der Hüter der Guten Kunst in der Küche, Y. Uppie, seines Zeichens Chefkoch des Hotels und in dieser Eigenschaft auch Obervater des Cafe Titanic. Sofort hatte er Herbart Dreitag zu sich zitiert. Dieser war dem Ruf auch sogleich gefolgt, und das, obwohl er weder verwunden hatte, daß Uppie - direkt aus Frankreich kommend - von der Direktion als Chefkoch eingesetzt worden war, obwohl er, Dreitag, ältere Rechte hatte, noch, daß sein Vorgesetzter trotz aller Bemühungen auf seiner Seite immer fünf Jahre jünger aussah als er.
Und so kommt es nun, daß mit dem aus dem Tal heraufschallenden Glockenschlag der zweiten Stunde Uppie und Dreitag mit einem Trupp Handwerker im Rücken das Cafe betreten. Sofort verstummen alle Gespräche, selbst der CD-Player verschluckt sich, um dem donnernden Baß des Küchenchefs entsprechenden Nachdruck zu verleihen: "Was ist hier los? Wer war das?"
"Herr Yuppie..." versucht beherzt der Oberkellner zu intervenieren, wird aber sogleich unterbrochen: "Wer hatte gestern abend Dienst? Die stecken da mit drin, ganz klar. Sagen sie ihnen, daß sie gefeuert sind, los. Wir sind ja hier nicht im Jugendclub."
"Aber... - es ist doch eigentlich viel schöner so."
"So, glauben Sie? Dann sind Sie auch gefeuert. Gefeuert, hören Sie?" Uppies Stimme hatte sich zuletzt bedrohlich dem Punkte des Überschlagens genähert, doch fährt er jetzt ganz ruhig fort: "Und jetzt, liebe Gäste, genießen weiter sie unseren professionellen Service, das Produkt, mit dem wir überaus konkurrenzfähig sind, und freuen Sie sich, daß unsere Produktivität stärker steigt als die Inflationsrate. Danke für den Umsatz."
Und so mischt sich das leise Klatschen der nassen Pinsel in die Geräusche der fröhlichen Kaffeegesellschaft.
Hat die Kunst noch eine Chance im Kurhotel? Wie viele Jahre fallen von einem Gesicht pro Millimeter Dreitagesbart ab, und sind es bei Dreitag weniger? Wer hat den Anschlag auf den guten Geschmack im Cafe geplant, und was hat Prof. Peterle damit zu tun?
Was bisher geschah: Y. Uppie mußte gegen den Anarchismus kämpfen, Prof. Dr. Peterle hat "den Patienten" im Visier und ärgert sich deshalb. Ein Ofen stand in der Ecke.
An einem Tisch im Speisesaal des Kurhotels sitzt allein eine verwitterte Gestalt, die mit ihrem langen Bart und den wirren Haaren so gar nicht in das Ambiente der gepflegten Kurgäste passen will: Einer der rauhen und herzlichen Gesellen, die sich zum Mißfallen der Hotelleitung den Karlsplatz, zu Füßen der Direktion, mit den Tauben teilen, und wie diese hin und wieder einen Brosamen von den Patienten zugeworfen kriegen. Auch ihm mundet das delikate und doch gesunde Essen sichtlich: frisches Gemüse, erstklassiges, fettarmes Fleisch, raffinierte Desserts, das alles phantasievoll kombiniert vom Küchenchef persönlich.
Allein, Unheil naht: Y. Uppie kommt in seiner Rolle als Rächer der ausgebeuteten Gäste, das Batmankostüm nicht ganz ausfüllend, zur Tür herein und steuert flatternden blonden Haares auf eben jene hagere Gestalt zu. Gewandt baut er sich vor ihr auf und fragt hinterlistig: "Entschuldigen Sie, darf ich Ihre Kurkarte sehen?"
Verschüchtert blickt der arme Mann auf, Worte sind nicht nötig. "So, das dachte ich mir," verkündet Uppie mit anschwellender Stimme. "Sehen Sie, liebe Gäste, sehen Sie hier einen Schmarotzer, der sich auf Ihre Kosten (und meine, versteht sich) rund futtert. Ein Schuft, der hier auf Kosten Ihrer Krankenkasse seinen Magen mit Delikatessen vollstopft, um nachher noch genug Geld für seinen Schnaps zu haben. Ja, mein Freund, arbeiten wäre angesagt, nicht saufen und den geordneten Betrieb unseres Hotels stören. Hier essen nur die Gäste des Hotels; auf der Straße eßt ihr eure Sachen ja auch roh und ungekocht! Und jetzt huschhusch, raus hier, bevor ich die Polizei hole."
Während der Bärtige hastig seine wenigen Siebensachen zusammensammelt und ein gut gekleideter Herr am Nebentisch erleichtert aufatmet, steht Prof. Dr. Peterle auf und reicht Uppie einen funkelnden Weinkelch. "Gut gemacht, Herr Uppie. Diese Obdachlosen," seine Betonung läßt erahnen, wie gern er "Penner" gesagt hätte, "vor meinem Bürofenster sind mir schon lange ein Dorn im Auge. Lassen Sie uns anstoßen, auf daß wir gemeinsam das Säuferpack verjagen."
Uppie deutet ein Verbeugung an: "Seien Sie mein Gast, Herr Professor. Für sie steht mein bescheidenes Etablissement immer offen."
Ist das Niveau des Hotels noch zu retten? Werden die Dreitagesbärte die Vollbärte besiegen? Wird diese Serie die ProtagonistInnenquote nie erfüllen? Welche Bedeutung hat der Weinkelch? Und was macht eigentlich Dr. Reiner...
Was bisher geschah: Peterle und Reiner haben Probleme. In der Kantine des Kurhotels essen gutgekleidete ebenso wie schlechtgestellte "Schmarotzer". Es fehlt an Geld. Der Wein funkelt nur bei wichtigen Anlässen im Glas. Der Druck im Kurhotel nimmt zu: vielen PatientInnen können den Besserungsnachweis nach zwei Tagen nicht erbringen.
Lauschen wir einem Gespräch zwischen Prof. Dr. Peterle, Dr. G. Reiner und Waldemar Uri vom sozialpsychologischen Kurdienst.
Reiner: Herr Uri, es mehren sich die Simmen in der Öffentlichkeit - sogar hier im Haus - daß die Regelung nur angewandt werden dürfe, wenn den Patienten Orientierungshilfen geboten werden. Insbesondere Hinweise, wie Kranke selber dazu beitragen können, gesund zu werden, könnten die Verweildauer reduzieren.
Uri: Herr Reiner denken sie doch nur an die Tatsache, daß viele PatientInnen, die einfach mal zum Röntgen geschickt werden, gar nicht wissen, wo das ist, andere können noch gar noch nicht wieder gehen. Viele, die die Röntgenabteilung gefunden haben, müssen oft zwei Tage warten. Manchmal sagt auch ein Röntgenbild gar nichts aus - es ist nur ein Mittel, damit die Röntgenabteilung nicht verkleinert wird! Ertappt wurde unlängst eine Patientin mit Gelbsucht, die in ihrer Verzweiflung für die Visite das Bild eines Beinbrüchigen auslieh.
Reiner: Ich erinnere mich: Der Fall flog erst auf, als der Pfleger beim Rausgehen feststellte, daß der Name auf dem Bild nicht der der Patientin war.
Peterle: Namen! Nennen sie mir den Namen der Ärztin!
Reiner: War es nicht so, daß die Ärztin sehr wohl wußte, was geschah, aber Mitleid mit der Patientin hatte, da sie alleinerziehende Mutter dreier Kinder ist, die sie nicht zu Waisen machen wollte?
Peterle: Wofür haben wir eine Sozialfürsorge!
Uri (fährt sich durch den Dreitagebart, dessen er vor dem Gespräch nicht mehr entledigen konnte, da er vor Überarbeitung nicht mehr dazu gekommen war, Rasierklingen zu kaufen): Meine Herren, beruhigen Sie sich doch. Unter der Hand haben bereits Schwestern einiger Stationen angefangen, mit neueingelieferten PatientInnen sogenannte "Überlebenstrainigs" zu machen. Auf anderen Stationen haben Gespräche zwischen Pflegepersonal und ÄrztInnen stattgefunden, wie man die Verweildauer senken könne - bei gleichbleibender Qualität der Versorgung. Sie müssen bei diesen Projekten mit machen, sonst...
Peterle: Wir haben doch bereits reagiert: wir haben vor zwei Monaten angeordenet, Patienten im Koma vorübergehend von der Reglung auszunehmen!
Uri: vorübergehend! und auch nur um Prozeßkosten zu reduzieren, aber...
Leicht verärgert beendet Peterle das Gespräch. Er muß mit seinem Pressesprecher Artikel über seine Erfolge bei der Neuorganisierung des Kurhotels für die nächste Ausgabe der Hauszeitung "Kurhotel-Intern" durchsprechen.
Weiß der Pressesprecher, was im Ofen ist? Wieviele Artikel wird Peterle neuschreiben lassen? Und wird der Pressesprecher Wein bekommen?
Was bisher geschah: Fenster wurden aufgeschüttelt und Betten geputzt, die Weihnachtsgeschenke waren kleiner als sonst, und Chefarzt Prof. Dr. Peterle hat es allein geschafft. Glaubte er zumindest.
Ganz allein schafft er es in Wirklichkeit natürlich nicht, und deshalb hat das Hotel auch einen Verwaltungsdirektor, Herrn Schwacht. Der allerdings wirkt neben Charaktergestalten wie Peterle oder Uppie, dem Chefkoch, eher etwas blaß. Ehrlicherweise muß gesagt werden, daß er eigentlich überall etwas blaß wirkt. Gerade jetzt aber scheint jede Menge kräftiger Farben auf ihn: zwei Herren mit bunten Krawatten sitzen vor ihm: Dr. Geier und Dr. Streich von der Gnom-on SA Zürich. Vor ihnen liegt ein gewichtiges Konvolut voll harter Zahlen und schlagender Grafiken.
"Wir haben im Rahmen unserer Wirtschaftlichkeitsprüfung," hebt Dr. Geier an, "umfangreiche sowie tiefschürfende Untersuchungen angestellt," Dr. Streich sekundiert: "Und sind nach sorfältiger Auswertung unter Verwendung modernster Methoden der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre zu einem Schluß gekommen." Die beiden legen eine kurze Bedeutungspause ein, Dr. Geier vollendet: "Therapie kostet Geld."
Direktor Schwacht braucht eine Weile, um diese Einsicht zu verarbeiten und beginnt dann mit einem "Einerseits hat ihre Postition," einen Satz, der zum großen Entsetzen der Herren aus der Schweiz auch beim "andererseits" nach einer halben Stunde weder Sinn noch Ende erkennen läßt. Mutig wirft Dr. Streich, in eine von Schwachts Redepausen "Um nun zu den Empfehlungen zu kommen," ein. Dankbar nutzt Dr. Geier die Gelegenheit, den Satz mit "die wir aus unserer Analyse ableiten können" fortzusetzen. Dr. Streich rückt seine bunte Krawatte zurecht und betont jedes Wort, "Da nun die Therapie Geld kostet, sollte sie..." Dr. Geier genießt sichtlich, das letzte Wort zu haben: "abgeschafft werden."
Die Konfrontation mit solch zwingenden und mutigen Schlußfolgerung kann Schwacht nicht beeindrucken: erbarmungslos kommt das schon bekannte "Einerseits hat Ihre Position". Dr. Geier braucht nur fünf Minuten, um zu merken, daß er den Rest auch schon kennt und verlegt sich auf die Beobachtung des Minutenzeigers seiner Rolex.
Als selbiger eine halbe Umdrehung vollendet hat und sich in den Worten des Direktors allmählich das "andererseits" abzeichnet, wirft eben dieser einen flüchtigen Blick auf die helvetischen Doktoren. Er ist ein wenig enttäuscht, sie selig schlafend zu sehen - die bunten Folien, die noch in den schweinsledernen Köfferchen liegen, hätte er gern gesehen.
Wird Schwacht an den Krawatten ziehen? Wird er sich überhaupt entscheiden können? Wird die Gnom-on SA auf das millionenschwere Honorar verzichten, um sich Verhandlungen mit Schwacht zu ersparen? Wird sie verzichten müssen? Wird der Ofen gar eine elektronische Steuerung bekommen?
Was bisher geschah: Zwei Herren sabberten im Schlaf auf ihre bunten Krawatten und haben trotzdem tausend Riesen abgezockt. Peterle und Schwacht möchten die von den Patienten wiederholen. Derweil kommen seltsame Briefe im Büro von Uppie an.
Die große Tafel ist geschmackvoll gedeckt, auf weißem Linnen steht feinstes Porzellan, es duftet aromatisch nach frischem Kaffee, und leckeres Backwerk komplettiert das Bild einer Frühstücksrunde. In Wirklichkeit aber tagt der Ausschuß für Trinkkultur und Obstipation, kurz AUTO, auf der Tagesordnung steht der Ofen in der Ecke (vgl. Folge 1ff): Eine elektrische Steuerung könnte den Energieverbrauch senken.
Während noch Stimmengewirr im Raum schwebt, sehen wir, wer alles an jener Tafel sitzt: Direktor Schwacht ist zwar da, fällt aber nur auf, weil er an der Stirnseite sitzt: Vorsitzender kraft Amtes. Neben ihm sitzt Herr Tricks, Chef der Abteilung für Aufschub und Aushub, auf der anderen Seite des Tisches Herr Brummerer, der die Stelle des Klempners-der-nie-da-ist füllt und die Zeit, die ihm durch diese wenig aufreibende Stelle reichlich zur Verfügung steht, gern mit der Prominenz verbringt. Gerade jetzt quält er seinen Nachbarn, Hein Bieb von der Patientenselbsthilfe, mit einer Erzählung von einem Jagdausflug mit dem Minister. Dazu gesellen sich eine Handvoll Statisten, deren wesentliche Funktion ist, die ärztliche Zweidrittelmehrheit zu sichern.
Doch da klopft Schwacht an seiner Tasse, allmählich kehrt Ruhe ein, schließlich findet sogar Brummerer ein Ende. Der Vorsitzende verkündet, er wolle jetzt einerseits die Sitzung eröffnen, kommt aber nicht dazu, seine Position weiter auszuführen, denn sofort beginnt Tricks lauthals "Morgen, morgen, nur nicht heute..." zu singen.
Dies kann Brummerer nicht einfach so stehen lassen und fällt mit einem lauten "Brumm, Brumm" ein. Nach ein paar Minuten sinnlosem Gebrüll muß Tricks Atem holen, während Brummerer schaltet -- "grmmm-hahmmm" --, so daß Hein Bieb Gelegenheit hat ein zaghaftes "Aber..." einzuschieben.
Sofort herrscht bedrohliche Stille. Dann röhren Statisten, Tricks, Brummerer und sogar Schwacht gemeinsam: "Lassen Sie doch mal ihre ewigen Einwände. Wir wollen hier arbeiten!"
Hast Du eine Folge verpasst oder sind Dir die mysteriösen Briefe an Uppies Büro schlicht entfallen? Was weißt Du über den Ofen, der jetzt elektronisch gesteuert werden soll? Schreibe eine Nacherzählung der bisherigen Geschehnisse (nicht unter vier Seiten; Rand beachten!) und schicke sie an die Lauerstr. 1.
Was bisher geschah: Der Ofen war für eine Folge aus, Prof. Dr. Peterle hat sich zum wiederholten Male aufs politische Parkett gewagt, und Werner Brummerer, der Klempner-der-nie-da-ist, rutschte dort leider nicht aus.
Ein kleiner, gepflegter Empfang bei der Abteilung für Menschen um des reinen Kaffeetrinkens Sinn, abgekürzt Abt. Murks. Sektkelche klingen, in der Ecke steht, noch in transparente Polyethylenfolie eingeschweißt, eine große Trommel 93-ohmigen Koaxialkabels. Vorsorglich angeschafft, wurde das Kabel nie gebraucht, aber wer im Hotel wird schon den paar Kröten nachweinen wollen? Einziges Problem ist, daß die fachgerechte Entsorgung der Abteilung für Aufschub und Aushub obliegt. Nach mittlerweile acht Monaten Stillstand in der Sache besteht aber Hoffnung.
Rikka Höllenhund giftet wie immer. Diesmal schimpft sie auf Peterle, der den neuen fünffach parallelen Kernspintomographen Spielzeug-V an die Konkurrenz von der Abteilung WIRR gegeben hat. Nicht, daß die Abt. Murks mit Kernspintomographen fachgerecht umgehen könnte, aber hier geht es ums Prinzip. Abteilungsleiter Sandmann hält derweil eine Rede. Er schließt sie mit seinem persönlichen ceterum censeo "Ooken, Ooken, Bim und Bim, das wollen wir".
Da tönt es "Brumm, Brumm" vor der Tür, sie öffnet sich, und herein tritt Brummerer, verbindlich wie immer. In voller Illusion seiner Wichtigkeit postiert er sich neben dem Abteilungsleiter -- das ist politischer Instinkt. Begeistert tönt er heraus: "Ich bins geworden! Jetzt bin ich der Klempner-der-überhaupt-nicht-mehr-da-ist".
Diese Nachricht hat sonst allenthalben im Hotel für große Freude gesorgt -- allein, in der Abt. Murks ist es Tradition, auf keinen Fall Interesse zu zeigen, und schon gar nicht an irgendwas, das offenbar nichts mir der Abteilung zu tun hat.
Doch nein: Matthäus Moninger blickt auf und läßt sein Handy zuschnappen -- Optocom muß jetzt warten. Etwas verloren blickt er um sich und lokalisiert seine abgewetzte braune Ledertasche auf der Kabeltrommel. Das Handy verschwindet in der Tasche. Befreit, jedoch offensichtlich verstört fragt Moninger: "Warum nur rasiere ich mich?"
"Früher war halt doch alles besser" antwortet J.L. (Name wg. Jugendfreiheit von der Redaktion gekürzt), die Dinge auf den Punkt bringend, "und die besten Zeiten sind seit Neujahr vorbei."
Was bedeutet diese Antwort? Spielt sie auf das Kurhotel-Fuchsschwanz-Massaker an? Wird Brummerer als Hackfleisch enden? Oder ist seine Karriere unabwendbar?
Was bisher geschah: Damit das Kurhotel den Anschluß an die Wissenschaft nicht verliert, wurde mit dem renommierten Insititut für angewandte Psycholinguistik der benachbarten Universität eine enge Zusammenarbeit vereinbart. Dort lehrt der verehrte Prof. Dr. Konrad Traduct, Experte für klinische Linguistik, nun nicht mehr und widmet stattdessen seine ganze Kraft der Forschung. Belauschen wir ihn beim ersten Gespräch mit dem Klinikpersonalrat, dem Leiter des Kurhotel, Prof. Dr. Peterle und der Verwaltung -- Thema ist die: Krankenversorgung:
Traduct: Wir beschaffen augenblicklich neue Elektronenrechner und benötigen so für Klinik und Institut neue Handbücher. Ich kenne da einen kleinen Vetter, äh, Verlag; die Bücher sind sehr gut...
Reiner: Ja, besorgen Sie die Handbücher! Wann kommen die Computer?
Traduct: Der Antrag an den Forschungsausschuß ist gestellt, die Annahme wird eine Formsache sein, ich kenne den Prorektor...
Peterle: Wofür werden die Geräte eingesetzt?
Traduct: Wir können die Krankendaten damit ordentlich verwalten und die Röntgenbilder gleich aus der Station rüberziehen...
Dr. Sievers (Klinikpersonalrat): Oh - was tun Sie als Psycholinguist mit Röntgenbildern?
Traduct: Wichtig ist, daß man erst mal die Ausrüstung hat; bei der Geschwindigkeit, mit der die Forschung heute voran schreitet...
Reiner (Stellv. Klinikdirektor): Hatten sie die Computer nicht schon vor 3 Monaten im Rahmen dieses Programms zur Verbesserung der Patientenbetreuung 40.000,- DM Sondermittel beantragt?
Schwester Rieglindis (Mitglied Steuerausschuß Patientenbetreuung): der Antrag wurde im Steuerausschuß abgelehnt - er war nicht glaubhaft. Prof. Traduct geht es offensichtlich um Computer und nicht um die Kranken!
Reiner: Schwester, bitte! Gerade in den heutigen Zeiten müssen wir zusammenstehen - da kann man doch mal grundsätzlich gutheißen, daß sich jemand um eine gute Ausstattung Gedanken macht - die kommt immer auch den Patienten zugute!
Dr. Sievers: Schlappe 40.000,- DM bekommen Sie in der Kommission nie durch!
Traduct: In der Höhe nicht, aber ich habe ihn ergänzt: auf 150.000,- DM...
Peterle: Beeindruckend, wie Sie als Nichtmediziner sich Gedanken um die Patienten und den Anschluß an die medizinische Forschung machen!
Wird Prof Traduct seine Computer bekommen? Und die Handbücher? Und was passiert, wenn es keine Computer gibt mit den Handbüchern - und wer braucht dann noch die Röntgenbilder? Die Handbücher?
Was bisher geschah: Viele Bücher wurden gekauft, noch mehr weggeworfen und das Studium der Röntgenbilder kam nicht recht voran. Der Ofen in Peterles Büro wärmt immer noch nicht.
Vor dem Speisesaal stehen R. Eder, Herr der Klinik-Unterwelt, und Herbart Dreitag, den wir schon als aufstrebenden Adlatus des Chefkoches Y. Uppie kennengelernt haben, auf eine leere Milchtüte starrend. Sie gestikulieren wild, erregt, ja aufgewühlt.
"Es war Ihr Mann, der den Mülleimer abmontiert hat," kreischt Eder, die Stimme kaum kontrolliert.
"Pah! Der Boden gehört ihnen, und drum müssen Ihre Leute den Müll wegräumen," hält Dreitag dagegen, ebenfalls höchst erregt.
"Sie sind ja nicht normal. Schließlich sinds Ihre Gäste, die den Müll hierher schmeißen." röhrt Eder.
Der Lärm hat Herrn Tricks von der Abteilung für Aushub und Aufschub aus seinem alltäglichen Phlegma geweckt. Während Eder und Dreitag sich Dinge sagen, die in einer Kurklinik eigentlich noch weniger verloren haben als in einem Fortsetzungsroman, quert Tricks den weiten Platz und wirft ein, sobald ihm die stimmliche Anstrengung vertretbar erscheint: "Ich darf die Herren darauf hinweisen, daß die Abteilung für Aushub und Aufschub gerade eine wichtige Besprechung hält, aber darüber hinaus auch keinesfalls Müll einsammeln wird, da dafür das Landesamt für Plattheiten zuständig ist, das allerdings meiner Genehmigung bedarf, die wiederum der Zustimmung durch Hoteldirektor Schwacht bedarf. Und wir kennen ja alle Herrn Schwacht."
Nun, da die Aussichtslosigkeit der Situation offenbar geworden ist, schweigen die Streithähne. Tricks schlägt mit seinem Spazierstock auf den Konus des Brunnen vor dem großen Speisesaal: Seit zehn Jahren hatte er nur Regenwasser gesehen, weil die Pumpe in der Klinik steht, die Wasserleitung aber aus dem Speisesaal kommt. Und jetzt dringen gluckernde Geräusche aus der Tiefe, allmählich bahnt sich Wasser den Weg durch die rostigen Rohre. Verblüfft stellen zwei Herren zwei Fragen.
Dreitag, mit heiserer Stimme: "Wer hat das Wasser aufgedreht?"
Eder, ungläubig: "Wer kann nur die Pumpe angestellt haben?"
Tricks lächelt beim Gedanken an die nächste Kaffeepause: "Es geschehen noch Zeichen und Wunder..."
Wie lange wird der Brunnen laufen? Sollte die Abteilung für Aushub und Aufschub wirklich aktiv geworden sein? Und was geschieht mit dem Müll vor dem Speisesaal?
Was bisher geschah: Ofen heißt nicht Buda, und die Pest wird nicht im Kurhotel geheilt. Dafür sprudelte ein Brunnen wie durch ein Wunder. Nur in der Wirklichkeit liegt er noch trocken.
Wie jeder große Arzt hat auch Prof. Dr. Peterle große Visionen. Größere wohl, als sie dem Chefarzt einer -- wenn auch renommierten -- Kurklinik eigentlich zustehen. Eine solche Vision sind seine Gesundheitstropfen. Die Idee besteht darin, daß Kurwillige vor Antritt der Kur ein Medikament einnehmen, das Symptome von Rheuma hervorruft. Wenn dann alle Gelenke ordentlich geschwollen sind, sollen die Patienten ins Kurhotel dürfen. Dort würde das Medikament abgesetzt: Garantierte Heilung nach vier Tagen.
In der Patienten-Selbsthilfe hat man natürlich dies und das an solchen Plänen zu bemeckern. Doch auch Küchenchef Yves Uppie hat Bedenken: die Gäste des Hotels brauchen die vier Tage schon, um sich an seine Küche zu gewöhnen. Von diesen Bedenken weiß Rotraud Lila, eine Aktivistin der Patienten-Selbsthilfe. Gerade wohnt sie einem kleinen Festakt bei, in dessen Rahmen Uppie den Würdenträgern des Hotels und des Dorfes im Tal seine Erfolge des letzten Jahres präsentiert. Mit diabolischem Lächeln fragt sie Uppie nach seiner Ansicht über die Gesundheitstropfen.
Peterle schickt einen scharfen Blick zu seinem Küchenchef, man meint, ein gezischtes "Sag jetzt nichts falsches, Yves" zu vernehmen. Direktor Schwacht blickt ins Leere. Uppie räuspert sich, schlägt die Augen nieder, um dem stählernen Chefarzt-Blick nicht standhalten zu müssen. Dann hebt er an: "Zunächst liegt mir als Koch des Hotels das Wohlbefinden der Gäste natürlich sehr am Herzen. Wie weit geschwollene Gelenke dem förderlich sind, wird man wohl offen lassen müssen."
Peterle setzt die Brille ab, Funken sprühen. Uppie aber redet nie ohne Fluchtplan: "Jedoch steht es uns als der kulinarischen Leitung natürlich nicht zu, Stellung zu gesundheitspolitischen oder gar ärztlichen Fragen zu nehmen. Ich kann mir, liebe Frau Lila, deshalb nicht erklären, warum Sie diese Frage an mich richten."
Peterle lehnt sich zurück und raunt: "Fräulein, in Wirklichkeit". Er blickt auf seine Tischvorlage. In großen, schwarzen Lettern hat er darauf notiert: "Ich will Hein Bieb nicht kennen."
Was bedeutet dieser Satz? Warum will Peterle Hein Bieb nicht kennen? Wer wird verschlafen, und wer wird schlafen geschickt?
Die meisten Mütter sind Rabenmütter, die Väter hauen eh ab; homo homini lupus. Insbesondere soziale Einrichtungen stehen in der Öffentlichkeit schlecht da. Grund genug für den Gesundheitsminister, nach der Einrichtung von "Pflegekommissionen" nun einen Preis der Pflege zu stiften. Vergessen wir die Kürzungen, die auch das Kurhotel heimsuchen, lauschen wir der Kommission zur Stärkung der Pflege, die im alten geschmackvoll hergerichteten OP den Preisträger auswählt.
Schwester Anna: Ich unterstütze den Vorschlag der Kinderabteilung: Diese Elterninitiative macht sich wirklich verdient um die Pflege der Kinder - wir hätten das Spielzimmer nie alleine finanziert! Und es ist psychologisch und pädagogisch so durchdacht!
G.Reiner: Liebe Schwester, Sie wissen, ich wäre der letzte, der das bestreiten würde, aber finden Sie nicht, daß eine derartige Initiative den Preis gar nicht bekommen kann: es ist doch Aufgabe von Eltern, sich um ihre Kinder zu kümmern...
Schwester Anna: Es sind nicht nur ihre Kinder, es sind nicht nur Eltern kranker Kinder...
G.Reiner: Gewiß, aber sehen Sie: diese Eltern haben keinen Arbeitsvertrag mit uns, wie sieht das in der Öffentlichkeit aus: Außenstehende bekommen den Preis; die Leute denken, wir pflegen unsere Kranken nicht!
B. Kerber (Patientin): Ist doch meistens so...
Dr. Peterle: Gehen Sie nicht von sich aus, wir sind alle Menschen, verstehen Sie...
G.Reiner: Gemach, wir sind uns also einig; was ihre Ausssage betrifft Frau Kerber: Nennen Sie mir Namen, ich werde dem nachgehen! Doch: wir haben noch Anträge...
B. Kerber: Ich schlage die Schwesterninitiative der Station 7 vor. Dieses Projekt ist zukunftsweisend, es enthält...
G.Reiner: Entschuldigen Sie, das ist doch der Beruf dieser Frauen, wollen Sie das honorieren - die bekommen doch schon genug.
Oberschwester: Aber Herr Dr. Reiner, lesen Sie den Antrag: dieses Engagement geht weit über den Arbeitsauftrag und die Arbeitszeit der Schwestern hinaus. Es geht gerade darum, neueingelieferte und entlassene Patienten nicht alleine zu lassen und besonders nach einem langen Klinikaufenthalt...
Dr. Reiner: Alles sehr schön, auch ich arbeite nach Feierabend. Meine Damen und Herren: ich möchte Ihnen einen Antrag vorstellen, der Ihnen nicht vorliegt: Dr. Polp. Er spricht bei der Visite mit seinen Patienten, er spricht persönlich mit ihnen, er erläutert ihnen ihre Krankheit - er fühlt sich in ihre Situation ein. Das ist nicht seine Aufgabe, da übersteigt er seinen Job bei weitem.
B.Kerber: Haben Sie keinen Antrag...
G.Reiner: ...der Antrag liegt nicht vor, aber vertrauen Sie mir, ich kenne Herrn Polp...
Schwester Anna: Ich spreche auch mit Pa..
Dr. Reiner: ...vertrauen sie mir, er macht es wunderbar...
Dr. Peterle: und wie ich gerade gehört habe, besteht jetzt die Gefahr, daß er eine Stelle am Rosenhospital annimmt, [...]
Dr. Reiner: Ich muß leider weg - können wir gerade über den Antrag für 'Dr. Polp abstimmen, er liegt ihnen wie gesagt nicht vor, aber vertrauen Sie mir ... [er zählt die erhobenen Hände] Danke für Ihr Vertrauen.
Wird der Antrag, der nicht vorliegt durchkommen? Wird Dr. Polp im Kurhotel bleiben oder wird er weggehen? Besprechen Reiner und Peterle nach der Sitzung als sie sich zu einem Glas Wein im Dienstzimmer von Peterle treffen nur Haushaltsfragen? Und was macht Uppie die ganze Zeit?
Was bisher geschah: Preise wurden verkauft, Großmütter hauchten in der Klinik ihr Leben aus, und es besteht noch Hoffnung, daß die Krankenkassen dem wilden Treiben im Hotel endlich ein gnadenvolles Ende bereiten.
Küchenchef Yves Uppie war verreist. Ausgerechnet der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) ermöglichte ihm, dem Franzosen, einen Studienaufenthalt in einer distinguierten Kureinrichtung in der schönen Provence. Und er kehrte nicht allein mit neuen Creationen aus Kräutern jenes fruchtbaren Landstriches zurück, manch andere Anregung hatte er von dort bezogen. Besonders angetan hatte es ihm ein neckischer Pavillon in Pilzform, aufzustellen im Foyer des großen Speisesaals.
Ein gewisses, wenn auch unwesentliches Hindernis dabei ist, daß die religiöse Stütze, die die provencalischen Kollegen darin hungrigen wie bereits gesättigten Gästen anbieten, im Kurhotel Kurfürst Karl von nur eingeschränkter Sinnhaftigkeit ist, da sich, Gott und der hierzulande weniger strengen Trennung von Staat und Kirche seis gedankt, die stilvolle Barock-Kapelle des Hotelgeistlichen nur wenige Schritte vom Speisesaal erhebt. "Das aber," so Uppie gerade auf den Einwand von Restaurantleiter Herbart Dreitag, der versucht, seinem Chef die kostenneutrale Alternative, den Geistlichen hin und wieder hinter die Theke der Garderobe zu laden, schmackhaft zu machen, "das aber kann doch kein Grund sein, auf eine prestigeträchtige Investition von 100.000 Mark zu verzichten. Außerdem habe ich bereits beschlossen, die Preise an der Kuchentheke anzuheben -- was wohl sollte ich mit den zusätzlichen Erträgen machen?"
"Nun, Herr Uppie," wendet Dreitag in seiner hemdsärmligen, aber besonnenen Art ein, "Sie wissen doch auch, daß der Rechnungshof längst ein Auge auf die Privatliquidation der Luxusmenüs geworfen hat und sie zusammenstreichen wird. Wir müssen Vorsorge treffen."
Unwirsch wischt Uppie den Einwand beiseite: "Ach was, dann wirds halt für die Gäste teurer. Mir doch egal. Ich find Pilze spitze, und Plastikspielzeug hab ich schon als Kind gern gemocht."
Wird Uppie seine Essen in Zukunft versalzen? Wie lange noch wird das Dach seines Speisesaales dicht bleiben? Wird Roger Whittaker ein Benefizkonzert für anglophile Redakteurinnen geben?
(Erschien ursprünglich als Folge 18, was aber nur Dada war -- Red.)
Was bisher geschah: "Bezahlt wird nicht," dachte sich Heiner Trottel, Minister für Krankheit im Gesundheitswesen, und drum sieht alles so aus, als sei der Ofen -- mensch erinnert sich an die ergreifende erste Folge -- aus. Prof. Dr. Peterle aber, Chefarzt unserer liebreizenden Kurklinik, findet sich mit dererlei Sachzwängen nicht ab und zwingt stattdessen seine Patienten und Patientinnen zu großzügigen Spenden.
"Vorerst sollten 16 Mark 77 am Tag ausreichen," verkündet er am Rande der alljährlichen Betriebsfeier der Klinik. Bester Champagner fließt in Strömen, die Gesellschaft wird immer ausgelassener, bis gegen Mitternacht Peterles besonders persönlicher Referent Siegfried Langen-Zunge samt seiner Sekretärin Lea Amsel zum Tekkno-Karaoke auf die Bühne tritt. Nachdem der Öffentlichkeitsreferent den Sparmaßnahmen zum Opfer gefallen ist, dilettiert Langen-Zunge in dieser Rolle -- die Stelle der Sekretärin der Öffentlichkeitsabteilung wurde offiziell zur Verwaltungsangestellten beim Chefarzt umgewidmet. In Wirklichkeit arbeitet sie weiterhin im Öffentlichkeitsressort... doch lassen wir das.
S. Langen-Zunge ist in der Klinik besser bekannt als Peterles Goldkehlchen -- der Chefarzt redet nur ungern mit Menschen, die nicht durch eine Habilitationsschrift eleviert sind, und immer dann springt Goldkehlchen ein. Sollte das tun, wollen wir hier ergänzen. Dies alles ist jetzt aber nur von peripherem Interesse, Schampus und 300 Beats per Minute verwandelen den üblicherweise eher an einen getretenen Hund gemahnenden Mann in ein funkensprühendes Energiebündel.
"Ich bin nichts, ich kann nichts, laßt mich eine Zeitung schreiben," rappt er ins Mikro. Säuselnd und mit viel Hall kommt die Stimme von Frau Amsel: "Doch, er haat wihirklich proooomoviert." Gekonnt imitieren beide die "arbeitslose Akademiker"-Band der benachbarten Universität.
"Ich bin nichts, ich kann nichts, laßt mich Eure Homepage machen," geht es weiter im Gewehrstakkato von Langen-Zunge. Und wieder Amsel: "Iiich kahahan Ihnehen sogahar die Urkuhunde zeieigen." "Ja, ich bin bereit, sagt mir was ich lügen soll, ja, ich bin loyal, nachdenken will ich nicht, ja, ich stehe hier, sagt mir was ich tu-en soll." Goldkehlchens Stimme versagt auf einmal, sein Blick wird glasig, dumpf hallt der Aufprall seines ausgemergelten Leibes auf den Brettern, die für ihn das Ende der Welt bedeuten können. Später wird er sagen, er habe in diesem Moment an die Dienstbesprechung des vergangenen Tages gedacht, in der es auch um die Homepage der Klinik gegangen war. Doch bis dahin warten wir erst auf das Eintreffen der Sanitäter - und auf die nächste Folge.
Wird Peterle nun endlich angemessen im World Wide Web repräsentiert? Wer hat den Schampus bezahlt, wo doch der Ofen aus ist? Und welche Verbindungen gibt es zwischen S. Langen-Zunge und Weichei von Hartei?
Ein neues Jahr hat begonnen - auch im noblen Kurhotel Kurfürst Karl hoch oben über der Stadt.. Nach dem Trubel um den Kassenabschluß ´98, den Neubestimmungen, auf die man zum neuen Jahr hin umstellen muß, Kürzungen, die in der ersten Planung für ´99 einzubringen waren und nicht zuletzt nach den Jahresberichten an Förderer und Gönner, hatte Direktor Dr. Peterle schon auf einen ruhigen Januar gehofft. Er will seine exquisite Rotweinsammlung ein wenig aufstocken (nicht ohne sie zugleich ein wenig zu reduzieren).
Doch: mal wieder war der Pflegebericht vergessen worden. Eine lästige Pflicht, die noch dazu eigentlich seit ein paar Jahren in den Aufgabenbereich des Pflegeombudsmanns (POM) gehörte. Da aber dieser nur gewählt worden war, um den Posten zu besetzen... Peterle seufzte. Zwar hatte POM Frost einen Entwurf vorgelegt, allerdings war dieser - selbst Peterle verstand diese Entscheidung - im Pflegerat abgelehnt worden. Nun mußte die Sache durchgezogen werden: am Donnerstag tagte der Pflegerat und im Februar mußte der Bericht beim Ministerium sein. Oberarzt Ganz-Zahm hatte sich mit einigen Kollegen sowie Vertretern der Patienten und Pflegern getroffen, um einen neuen Entwurf zu erarbeiten. Diesen wollte er heute abend - hoffentlich noch vor den angekündigten Regenfällen - mit den leitenden Stationsärzten für den Pflegerat vorbereiten.
Kaffee und Stühle stehen bereit; die Kollegen treffen ein. Peterle kommt gleich zur Sache
Peterle: Meine Herren! Nochmal läßt sich die Abstimmung nicht verschieben und diesmal brauchen wir ein Papier, daß uns die Pfleger- und Patientenvertreter nicht zerreden können! Kollege Ganz-Zahm: wie war denn das Treffen?
Ganz-Zahm: Vergessen Sie das Treffen. Die Vertreter haben einen eigenen Entwurf vorgelegt. Insbesondere zitieren sie darin Details aus unserer Umfrage auf den Stationen. Alles richtig. Wir wissen ja, daß Kollege Frost eine Katastrophe im Umgang mit den Patienten ist. Sie erinnern sich sicher an den Fall der Patientin, die dachte sie hätte Krebs, dabei war es nur Blinddarm. Es wird auch geschrieben, daß Kollge Malzahn nichtmal von den erfahrenen OP-Schwestern verstanden wird...
Peterle (unterbricht ihn ungeduldig): ja, ja, wir wissen. Und Johnson ist immer so gelangweilt, daß man aufpassen muß, daß er nicht während der OP einschläft - wenn er überhaupt daran denkt, daß er eine hat. Das wissen wir doch alle, das muß man nicht mehr aufschreiben - das hat im Pflegebericht nichts zu suchen.
Ganz-Zahm: Sie wollten auch einen Abschnitt über die Auswirkungen der Kürzungen auf die Qualität der Krankenversorgung einbauen. Interessante Ausführungen übrigens - sie kennen das Problem ja. Aber das geht nicht - wir sollten auf den den Bericht von Kollegen Frost rekurrieren.
Waller: Was stand denn eigentlich in dem Entwurf von Kollegen Frost?
Peterle: er stieß auf ein wenig Kritik, da er ein wenig allgemein gehalten war. Aber wir wissen ja schließlich was los ist...
Ganz-Zahm: ... und wenn das an die falschen Leute gerät, hat es nur Konsequenzen: Die wissen doch gar nicht, wie unmöglich es ist, manche Operationen ohne Schwestern durchzuführen! Klar, daß die auf den Stationen fehlen.
Waller: Aber, wenn wir schreiben, daß wir die Schwestern quasi nicht auf der Station brauchen, streichen sie sie noch...
Ganz-Zahm: (schluckt) nicht auszudenken...
Mühberger: Aber vielleicht, wäre es nicht so schlecht, doch zumindest was anzudeuten: wenn das doch auffliegt - alleine die Umfrageergebnisse - wenn die an die Öffentlichkeit kommen, das hätte Konsequenzen - dann werden noch mehr Mittel gestrichen, weil wir geschwiegen haben!
Peterle: Seien wir ehrlich: wer liest diesen Bericht außer Pflegerat, Kuratorium und Ministerium? Und was interessiert die, was hier wirklich los ist? Die wollen doch nur was zum Vorzeigen.
Frost: Wir sind hier ja nicht in der Neuberger-Klinik, wo POM G. Nau sogar beschreibt, wie alt seine Röntgengeräte und vor allem die Bleiwesten sind. Was hat das mit Pflege zu tun?
Peterle: Ganz recht. Außerdem bekommen wir dann vielleicht sogar Probleme mit der Gesundheitsaufsicht!
Ganz-Zahm: (schluckt) nicht auszudenken...
Draußen beginnt es doch zu regnen, Peterle ärgert sich: er hat seinen Regenschirm im Auto gelassen. Er würde gleich seinen Assistenten hinaus schicken müssen, um das Utensil zu holen.
Frost: wir brauchen aber schon Erfolge!
Peterle: die neue Koronarsportgruppe...
Mühberger: ... die ist doch schon ein Jahr alt!
Peterle: ja, eben, und sie hat sich bewährt
Mühberger: das stimmt - wir könnten weitere derartige Gruppen aufmachen, wenn außer mir noch weitere Kollegen bereit wären, sich zur Verfügung zu stellen. Ich hatte es ja im August ausgeführt: der Bedarf ist da, aber wir brauchen ein Arzt, der sich bereit hält, falls es während der Übungen zu Zwischenfällen ...
Ganz-Zahm: (schluckt) nicht auszudenken...
Peterle (ungeduldig): das Drumrum muß nicht in den Pflegebericht, das können wir intern klären. Meine Herren: wir sind Mediziner! Unsere Aufgabe ist nicht, die nicht nachvollziehbare Politik der Regierung zu kritisieren, das bringt nur Ärger und nicht mehr Geld! Dafür brauchen wir Erfolge - und die gehören in den Pflegebericht! Wir nehmen die Koronargruppe auf und belassen es beim Entwurf des Kollegen Frost. Meine Herren, es ist spät. Es gibt noch Wichtigeres für uns als Pflege! Auf Wiedersehen.
Ich hoffe natürlich auf ihr vollständiges Erscheinen im Pflegerat.
Es regnet immer noch. Peterle lehnt sich zurück und ruft seinen Assistenten...
Was bisher geschah: Unwahrscheinlich viel, seit unserem letzten Blick auf die Klinik. Prof. Dr. Peterle wurde abgesetzt und verschwand in den Katakomben des Justiziariats, sein Nachfolger Prof. Dr. Agricola wurde schon nach einer Amtszeit von Renzo Cravatini, Chef der Banco Ambrosiano und Vorsitzender der Hotel-Gesellschafterversammlung -- sie gab es noch gar nicht, als wir das Haus zuletzt betrachtet hatten --, niedergestreckt und liegt jetzt in einem von einem hübschen, rustikalen Holzkreuz gezierten Grab am Bauernfriedhof im Tal.
Cravatini seinerseits wurde dann im Duell von Prof. Dr. P. Widderling erschossen, stilgerecht bei Sonnenaufgang auf dem Gipfel des Hohen Sessels, des Hausbergs des Hotels. Diese Tat allein bestätigte schon die Weisheit der Entscheidung, Prof. Dr. P. Widderling zum Nachfolger von Agricola zu machen. Unterstützt wird er derzeit in seiner Aufgabe als Kapitän der Fregatte Kurhotel vom Stabsbeauftragten für die institutionalisierte Reform, Prof. Dr. H. Vomit, und von Prof. Dr. C. von Habsburg, deren Arbeit sich auf die so oft unterschätzte Pflege und Therapie konzentriert.
Auch Verwaltungsdirektor Schwacht arbeitet nicht mehr für das Hotel. Ihn hatte die Pflicht übermannt, und auch sein Nachfolger, Graf T. Sylvana, spöttisch auch Sylva-Candida genannt, war den Belastungen des Amtes nicht gewachsen. Und so wurde, nach langer, sorgfältiger und kostspieliger Suche Undine Winter berufen, über das wirtschaftliche Wohl des Hauses zu wachen.
Der unverwüstliche Yves Uppie hingegen sorgt sich weiterhin um das leibliche Wohl der Gäste, so sehr, dass sich ein paar Sorgenfalten mehr auf seinem sonst jugendlichen Gesicht zeigen -- und niemand ahnt, dass er bei dem tragischen Bergunfall Herbart Dreitags seine Finger im Spiel hatte. Nicht wenige hätten sich gewünscht, dass statt seiner S. Langen-Zunge die schroffen Felsen des Tromb-Massivs hinabgestürzt wäre. So aber ist er immer noch treuer Diener seiner Herren. Herrn Tricks' alltägliches Phlegma bewahrte auch ihn in seiner Abteilung für Aufschub und Aushub vor frühzeitigem Burnout, während Matthäus Moninger seit Monaten in Afghanistan verschollen ist. Und unser alter Freund Brummerer hat sich vor eine Straßenbahn geworfen, was jedoch weder ihm noch der Straßenbahn half.
Wir wollen schließlich nicht versäumen, anzumerken, dass der Kachelofen noch steht, der Brunnen aber nicht lange plätscherte und schließlich zubetoniert wurde, als Agricola das Projekt "Plättet Idioten und Hügel" verfolgte, ein ambitioniertes Unterfangen, das wirklich repräsentative neue Bauten möglich machte -- und wer möchte da schon anmäkeln, dass deren Nutzwert eher bescheiden ausgefallen ist?
Folge 16. Längst haben sich die Duftgeranien vor dem Fenster dran gewöhnt: Dicke Luft strömt aus dem Amtszimmer der ärztlichen Leitung. Prof. Dr. Widderling hat die Stirn in Falten geworfen und strahlt vom Scheitel bis zur Sohle souveräne Autorität aus. Seine linke Hand, Prof. Dr. Vomit, beeindruckt durch gekonntes Mienenspiel. Ein leichtes Zucken seines Augenlides reicht, um den angetretenen Abteilungsleitern Schauer den Rücken hinabzujagen.
Angetreten sind eine Dame und zwei Herren. Doktor Christa von Überlast leitet die der Klinik angeschlossene Schule für Krankengymnastik. Ihr Fahrrad, das sie sorglos unter dem Fenster angelehnt hat, verrät ihre leichte, südliche Lebensart, ihr gerolltes R, dass diese nicht ganz von ungefährt kommt. Doch jetzt gerade gebricht es ihr ein wenig an Contenance: "Mit dem zusammengehen? Niemals!"
Der da so despektierlich angesprochen wurde ist Peter Somnobarbus, Chef der Korrespondenzabteilung und äußerst besorgt, er und seine Abteilung könnten Opfer des in jüngster Zeit auch im Kurhotel nicht mehr unbekannten Outsourcing -- schon das Wort ist eine Beleidigung! -- werden. Doch auch er verwahrt sich gegen das Unterfangen: "Keine inhaltliche Basis. Völlig willkürliche Entscheidung. Unmöglich für mich. Wissen Sie, was die Schulden gemacht hat, während ich meine Schreibkraft für Brasilianisch gefeuert habe? Das ist, als würde man Marineschwimmer mit Blutegeln zusammentun." Somnobarbus hat seinen großen Trumpf gezogen, denn er kennt Widderling schon aus der Zeit, als sie gemeinsam auf der stolzen Gorch Fock die Meere durchquerten, die Segel voller Wind, bei tropischer Sonne oder in den unerbittlichen Stürmen des Nordatlantik.
Der letzte Gast ahnt von diesen Erlebnissen wenig. Ganz Sportsfreund, versucht Hellmuth Petrus zu vermitteln: "Nun, ich muss gestehen, dass die Entscheidung, eine administrative Einheit aus KG-Schule, Korrespondenzabteilung und meiner Hausdruckerei zu machen, tatsächlich nicht ganz einfach zu verstehen ist. Aber ich denke, wir sollten das auch als Chance begreifen, unser Profil zu schärfen, jedenfalls, solange die Sichtbarkeit der alten Abteilungen gewahrt bleibt. Daher schlage ich vor, dass wir die neue, fusionierte Abteilung einfach 'Abteilung für menschlichen, angewandten und auswärtsgewandten Druck' nennen. Ist das nicht ein Vorschlag?"
"Reden Sie nicht, machen Sie das einfach," knurrt da Prof. Dr. Vomit. Als Stabsbeauftragter für das Betriebsklima ist er schon fast mit physischen Sensoren zur Vermittlung zwischen den manchmal heillos zerstrittenen Diadochen des Kurhotels ausgestattet. "Muss sein wegen EDV. Die Druckerei hat, äh, zu, zu wenig Stellen, alleine, da streikt das Pro, das Programm, wir können das nur als Unter, Unterabteilung führen."
"Nun, bei dieser Namensgebung könnte ich mir durchaus vorstellen, mitzumachen," lenkt nun Somnobarbus ein, "nur die, die darf nicht mitmachen."
"Vielen Dank für Ihr Einverständnis," sagt nun jovial Prof. Dr. Widderling, die Stirn, hinter der Tag für Tag die Gedanken allein um das Wohl des Kurhotels kreisen, jetzt geglättet. "Ich wusste, dass ich auf Ihre Vernunft zählen kann. Wenn ich Sie nun zur Tür begleiten darf..."
"Aber," versucht von Überlast einzuwenden, doch ihre tadellose Kinderstube verbietet ihr den Versuch, Widderling zu übertönen, als dieser das schöne alte Volkslied von der Lust, die dem Müller das Wandern ist, anstimmt. Prof. Dr. Vomit stiert und blinzelt so wild, dass die drei Gäste in wilder Flucht durch die schwere Eichenholztür mit ihren ehernen Beschlägen eilen. Giftige Blicke werden zwischen Somnobarbus und von Überlast gewechselt.
Kann die Vereinigung der Schule für Krankengymnastik, der Hausdruckerei und der Abteilung für Korrespondenz gelingen? Wer führt das Messer, das Somnobarbus demnächst hinwegraffen wird? Wird man den von ihm veruntreuten Schlüssel zum Schreibmaschinenschrank finden, bevor er begraben wird oder wird der Schlosser aus dem Tal kommen müssen?
Was bisher geschah: Nachdem das Hotel an Haupt und Gliedern reformiert worden war, wurden auch verschiedene Abteilungen reformiert. Drei wichtige Menschen wollten ihre Wichtigkeit nicht verlieren, wurden aber aber vom Stabsbeauftragten für die Institutionalisierte Reform (SIR) in die wilde Flucht durch die schwere Eichentür des Amtszimmers von Prof. Dr. Widderling gejagt. Doch derweil jaulte schon die Kettensäge am Stuhl von SIR Prof. Dr. Vomit. Lautlos schwebten die Späne edelsten Ebenholzes auf die roten Terrakottafliesen.
Folge 17. Karl Karrner hat in seinem Leben schon viel geleistet. Vor vielen Jahren hatte er die gutbürgerliche Gastwirtschaft "Zum Löwen" unten im Tal geleitet, bis diese schließen musste. Später stand er an der Spitze einer Wahlkampagne, die seine Dienste den Bürgern und Bürgerinnen des gesamten Tals andiente, doch krönte die vox populi seine Konkurrentin zur glücklichen Herscherin. Seit vielen Jahren nun kümmert er sich jetzt schon mit immer wieder überzeugendem Erfolg um die Krise des weltberühmten Skizirkus' am Ludwigsheim-Gletscher ganz in der Nähe unserer Klinik.
In dieser Eigenschaft ist er ein wichtiger Mann auch für das Kurhotel, denn Aktivkur und Wellness sind für moderne Kurkliniken der Weltklasse mittlerweile ein sine-qua-non. Dies weiß auch Karrner, und so kann er Jahr um Jahr die Kosten für die Universal-Liftkarte erhöhen. Damals, als das Hotel dieses Angebot in seinen Kundenservice aufnahm, war es damit auch überregional ein Vorreiter gewesen, und dies war wesentlich Verdienst des altgedienten Küchenchefs Yves Uppie. Und so findet sich dieser im rustikalen Nebenzimmer des Speisesaals, als Karl Karrner und der allzeit für sein Hotel streitende Professor Widderling zu einer Unterredung zusammentreffen. Es geht um die Preise im nächsten Jahr.
Auf einer Konsole im Hintergrund perlt bereits der 1976er Champagner, mit dem der erfolgreiche Abschluss der Verhandlungen gefeiert werden soll. Ein Stuhl allerdings ist leer geblieben: Der von Boba Odin, dem Vertreter der Patienten. Karrner blickt etwas irritiert und schnarrt: "Müssen wir eigentlich noch auf Herrn Odin warten?"
"Nein, Herr Odin wird nicht kommen," beantwortet ein lächelnder Widderling Karrners ohnedies nur rhetorisch gemeintes Auskunftsersuchen. Er lehnt sich zufrieden zurück, sein Lächeln wird ausgesprochen verbindlich, während sein sonores Organ die Worte "ich habe ihm ein starkes Schlafmittel verabreichen lassen. Er wird erst in drei Stunden erwachen" formt.
Yves Uppies bisher etwas bleicher Teint wechselt ob dieser Auskunft deutlich ins Rose. Erleichertet stellt er fest: "Dies ist sehr positiv. Damit haben wir reichlich Zeit für Verhandlungen."
"Die werden wir nicht glücklicherweise nicht benötigen, denn ich habe den Vertrag bereits fertig ausgearbeitet dabei."
Karrners solide resonierender Tenor referiert knapp die wesentlichen Punkte: "Wir werden den Preis in diesem Jahr um dreißig Prozent erhöhen und eine Sonderabgabe für Freiatmen in der Bergluft erheben. Können wir damit zum Champagner übergehen?"
Auf ein Zeichen Uppies hin bringt ein Kellner das Tablett mit dem edlen Schaumwein. Die drei Herren stoßen an.
Widderling bringt einen Toast aus: "Auf den Schlaf unserer Patienten. Auf den Skizirkus als hervorragende Quelle neue Patienten."
Wird Boba Odin Kopfschmerzen haben, wenn er erwacht? Wird er die Patienten und Patientinnen gegen das Triumvirat aufbringen, wenn er merkt, was gespielt wurde? Ist die Hand an dem Fuchsschwanz, der an Karrners Stuhl sägt, die seine?
Was bisher geschah: Gift war im Spiel, als die Entscheider der Klinik in der letzten Folge zusammenkamen, doch hatte es nur Boba Odin getroffen. Professor Widderling hingegen hatte Champagner geschlürft. Doch schon damals schliefen nicht alle aus der großen Schar seiner Feinde...
Folge 18. Siegfried Langen-Zunge, allzeit getreuer Paladin des jeweils amtierenden Klinikdirektors, patroulliert ein letztes Mal in dieser Nacht durch den weitläufigen Park der Kurklinik und entfernt eine ungelenk handgeschriebene Wandzeitung einer obskuren, anarchoprimitivistischen Zelle aus dem Dorf im Tal vom Stamm einer mächtigen alten Linde.
"Verklagen müsste man die," murmelt er indigniert, während er das billige Papier zerknüllt. "Käuflich, wir! Mon dieu!"
Der zunehmende Mond, etwas mehr als halb bereits, erleuchtet seine Züge, sein Blick verrät abgrundtiefen Abscheu vor den Rohlingen aus dem Tal. Festen Schrittes kehrt er zur Klinik zurück und verschließt das alte, knarrende Parktor. Ruhe kehrt ein über dem weitläufigen Areal.
Doch kaum ist eine Wolke vor den Mond gezogen, dreht sich erneut ein Schlüssel im Schloss des Parktors, und herein huscht eine Gestalt, deren massiger Wuchs nicht vermuten lassen würde, mit welcher Gewandheit sie nun den Park durchquert. Sie ist tiefschwarz gekleidet, eine große Kapuze verhüllt ihr Antlitz, sie trägt ein längliches Paket auf dem Rücken. Ein schwacher Duft von Benzin liegt in der ansonsten für ihre Reinheit gerühmten Alpenluft.
Das Ziel des Schwarzgekleideten ist der alte Lustpavillion, vor dem im Frühjahr die Bergblumen, den nimmermüden Diensten der klinikeigenen Gärtnerei sei dank, ihre Pracht überreichlich entfalten. Achtlos zertritt der nächtliche Besucher einen Enzian, dann verschmilzt sein schwarzer Umriss mit dem ungleich größeren Profil des alten Pavillions, in dem schon mancher Gast an langen Nachmittagen Ruhe und Heilung von den Beschwernissen des häufig wahrhaft kaum zu meisternden modernen Lebens jenseits der Berge fand.
Still ist es wieder geworden im Park. Doch dann tritt der bleiche Mond zwischen den Wolken hervor und schickt tastende Finger weißen Lichts auch in den Pavillion. Die Gestalt hat die Kapuze zurückgeworfen -- es ist Italo Corpulento, der Chefarzt der Logopädischen Abteilung! Sein Blick mustert das diamantbesetzte Chronometer an seinem Handgelenk, ganz als warte er auf etwas. Oder irgendwen...
Auf wen oder was wartet Corpulento? Warum sucht er sich zum Warten ausgerechnet jenen verwunschenen Pavillion aus? Wird der außerordentliche Kontrollgang, den S. Langen-Zunge nach dem Zähneputzen unternehmen wird, Corpulentos Pläne auffliegen lassen? Ist Widderling noch zu retten?
Was bisher geschah: Siegfried Langen-Zunge ließ die Aufmerksamkeit für einen Augenblick sinken -- eine Gelegenheit, die sich Italo Corpulento nicht hat entgehen lassen. Unter einem weiten Umhang und einer Kapuze versteckt schlich er an einen geheimen Ort, und alles sah danach aus, als warte er auf Mitverschwörer.
Folge 19. Die bleichen Finger des Mondlichts tasten im alten Pavillion umher, eine laue Brise lässt die Blätter des an ihm wuchernden wilden Weins zittern. Italo Corpulento beginnt, den schweren, schwarzen Damast von dem geheimnisvollen Paket, das er mit in den Kurpark gebracht hat, zu entfernen.
Ein Geräusch vom geschotterten Parkweg lässt ihn herumfahren -- hatte Langen-Zunges Aufmerksamkeit doch nicht gefehlt, würden die Schergen des Direktors die Verschwörung bereits ersticken, noch bevor die Verschwörer sich verschwören könnten? Doch nein, durch den verzierten Jugendstileingang tritt nur eine einzelne Gestalt, deren Hand sogleich behende das Geheimzeichen formt. Es ist Prof. Dr. Vomit, ehemals Stabsbeauftragter für das Betriebklima, jetzt verbannt in den schwarzen Bau der Klinik, und spätestens seit der Verbannung entschlossener Feind von Klinikdirektor Widderling. Die beiden Männer tauschen einen kurzen Blick aus, Vomit blinzelt, blinzelt erneut und noch ein weiteres Mal.
Auch er hat ein längliches Paket dabei, stellt es vor sich auf den Boden. Der Hauch von Benzin, der seit Corpulentos Erscheinen in der Luft lag, verdichtet sich.
Kaum ist die geraunte Begrüßung der beiden Männer verklungen, erscheinen drei weitere Herren aus der tiefen Dunkelheit des Parks. Räumlich wie atmosphärisch bildet das Zentrum dieser Gruppe eine mittelgroße Gestalt, deren dynamische Gestik Zuversicht verrät. Schwungvoll schlägt sie ihren Umhang zurück, wodurch eine von neonfarbenen Fäden durchwirkte bunte Krawatte zum Vorschein kommt. Es scheint, als tanzten Glühwürmchen in der Düsternis des alten Pavillions, und in ihrem unsteten Licht ist unschwer ein tadellos sitzender Anzug zu erahnen.
Obwohl auch den Neuankömmlingen anzumerken ist dass sie ansonsten eher mit feinen Skalpellen, zarten Verbandsmaterialien oder geschmackvollem Essbesteck umgehen, scheint keiner die Last der länglichen Pakete zu scheuen, die auch sie mit sich führen.
"Wir haben uns etwas verspätet", hebt der dynamische Herr an, "der Kollege Talert aus dem Wirtschaftsausschuss musste noch eine Berechnung zuende führen. Und als Sozialmediziner hat er natürlich so seine Probleme mit den lieben Zahlen". Sein strahlendes Lächeln konkurriert mit den Neonfäden -- es ist Dr. Weiss, Oberarzt der Rehabilitationsabteilung. Ihm kann man nicht böse sein. Und egal, was diese Herren planen: es kann nur Gutes sein.
Corpulento und Vomit nicken kurz, dann spähen die Männer noch einmal hinaus über die leicht erhöhte Rosenrabatte mit den liebevoll gepflegten Gloria-Dei-Rosen, deren schwacher Duft auch im sich weiter verdichtenden Benzindampf noch zu erahnen ist. Sie müssen nicht lange warten. Kaum eine Minute vergeht, bis sich vier weitere Gestalten aus der Finsternis lösen. Auch diese Männer tragen ihre längliche Last mit Anstand und Würde, nicht einer scheut die Bürde.
Nun, da sie vollzählig sind, erhebt Corpulento die Stimme:
"Wir wollen sein ein einzig Kreis von Subalternen
in keiner Not uns trennen und Gefahr.
Wir wollen frei sein, wie die Väter waren,
eher den Tod, als in Budgetnot leben.
Wir wollen trauen auf den höchsten Gott
und uns nicht fürchten vor Professor Widderling."
Nun heben alle, was in ihren Paketen war, in die Luft, teuerer Stoff weht, dann sind sie frei in die Luft gestreckt: Kettensägen vom Typ Stihl MS 660, 5.2 kW stark, 91.6 Kubikzentimeter Hubraum, mit serienmäßigem Antivibrationssystem. Dank ElastoStart heulen sie problemlos auf, die mengenregulierbaren Ölpumpen arbeiten auf Hochtouren. Allein das Fehlen von Katalysatoren wird sich in vielen Jahren einmal durch eine deutliche Erhöhung der Lungenkrebsrate innerhalb des Führungszirkels der Klinik äußern.
"Er muss weg," skandieren die dunklen Gestalten, "und weg wird er gehen."
Wird S. Langen-Zunge durch das Geräusch der Kettensägen geweckt? Kann er noch eingreifen? Oder hat Prof. Widderlings brillianter analytischer Verstand diese Verschwörung vielleicht schon vorausgesehen und hat längst Vorkehrungen getroffen?