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Date: Mon, 8 Feb 1999 19:11:03 +0100 From: Michael BayerTo: basin@dont.faveve.you.dare.uni-stuttgart.to.spam.this.de Subject: Re: BASIN: Spiegel Uni-Ranking Hallo, > Bei uns ist heute jemand an der Uni rumgelaufen (u.a. Westerberg Cafete und > Biologie Cafete), der wohl vom EMNID beauftragt war fuer den SPIEGEL Daten > fuer ein Uni-Ranking zu sammeln. in Marburg auch. Ich habe mich mal bei einer Befragung dazugesetzt. Folgendes ist mir aufgefallen: - Die StudentInnen werden in zwei Gruppen unterteilt, wenn ich es richtig verstanden habe bis zum sechsten Semester und sechstes bis zwoelftes Semester. Das heisst, wer laenger als sechs Jahre studiert, wird erst gar nicht befragt. - Nicht eine Frage fordert dazu auf, den Studiengang (hier: Germanistik) inhaltlich zu bewerten. Es sind ausschliesslich Ausstattungsfragen; darueber hingehende Aussagen traut der Spiegel den Studierenden offenkundig nicht zu. Antworten sind in einer Skala von eins bis sechs (?) zu geben. Einige Kostproben: * Sind wichtige Lehrveranstaltungen ueberfuellt? * Fallen wichtige Lehrveranstaltungen aus? * Koennen Lehrveranstaltungen, die laut Pruefungsordnung Pflicht sind, auch besucht werden? * Sind Lehr- und Pruefungsanforderungen aufeinander abgestimmt? * Gibt es eine persoenliche Beratung der DozentInnen? * Werden Pruefungsergebnisse erlaeutert? * Praxisbezug des Studiums * Sind genuegend Buecher da? * Sind genuegend PCs da? * Sind die PC zeitgemaess? * Fuehlt man sich bei der Arbeit an der Uni wohl? * Gesamtbewertung Studienbedingungen - Nicht ganz rausbekommen habe ich, welche Studiengaenge wie zusammengefasst evaluiert werden. Die Interviewerin berichtete, das ginge fachbereichsweise. Kann ich aber nicht ganz nachvollziehen, weil sich die Fachbereiche ja wohl an jeder Hochschule anders zusammensetzen. Oder sie nehmen nur die gaengigen, grossen Fachbereiche. - Die Interviewerin war eine von Emnid geschickte Studentin. Sie fragte im Foyer in eine Runde, ob zufaellig jemand Germanistik oder Paedagogik studiere. Fuer einen traf das zu, und der wurde dann befragt. Es laeuft also nicht "von oben" wie in anderen Umfragen ueber Zentralverwaltung und Fachschaften, was wohl er positiv ist. Andererseits wird dann die Zuverlaessigkeit der InterviewerInnen wichtiger. Von solchen Rankings halte ich ja aus grundsaetzlichen, bildungspolitischen Gruenden nicht viel. Aber dass das wirklich alles ist, was StudenInnen zu ihrem Fachbereich sagen sollen, finde ich ja zusaetzlich aergerlich. -- ** -- So, und nun meine grundsaetzlichen bildungspolitischen Bedenken -- ohne hier gleich meine ganze Diplomarbeit vortragen zu wollen. Dass solche Umfragen methodisch fragwuerdig sind und immer sein werden, scheint selbst den BefuerworterInnen klar zu sein. (Wissenschaftsrat, "Empfehlungen zum Wettbewerb im deutschen Hochschulsystem, 1985 - sehr lesenswert: "Werden Daten, Verfahren und Einschaetzungen angefochten, so sollten solche - zumal anfangs nicht zu vermeidende - Einwendungen primaer als Anregung zu vermehrter und vertiefter Diskussion aufgenommen werden." S. 26). Aber ob die Ergebnisse dieser Umfragen nun realistisch sind oder nicht, ist meines Erachtens voellig egal. Wichtig ist erst einmal, dass es sie gibt. Und zwar moeglichst reichlich: "Vielfaeltige Initiativen sind erwuenscht. Insbesondere Fachoeffentlichkeiten und Fachzeitschriften sind hier vor eine Aufgabe von weittragender Bedeutung gestellt. ... Aber auch die Wissenschaftsreferate der Presse und anderer Medien koennen dabei eine wichtige Rolle spielen" (WR, 1985, 26). Der Spiegel hat bekanntlich diese Rolle als erstes und sehr aufsehenerregend uebernommen. Denn eigentlich geht es nur darum: die Hochschulen zu hierarchsisieren, den Fachbereichen einen guten oder schlechten Ruf zu verpassen. Damit dann - mit den ach so guten Gruenden -- "nach einer Anlaufphase ... die Bewertungen zuteilungswirksam werden" (WR, 1985, 27). Ob die Methoden der Umfrage stimmen oder nicht - immer mehr Studienanfaenger orientieren sich belegbar an ihnen (Beispiele hier in Marburg: dank Focus Run auf Geschichte). Und genauso ist das gedacht -- denn was nuetzt die tolle Profilbildung, wenn die StudentInnen immer brav zu der naechstgelegenen Hochschule gehen: "Wettbewerb soll die Qualitaet von Forschung und Lehre steigern. Unter welchen Voraussetzungen koennen wir vernuenftigerweise erwarten, dass der Wettbewerb um Studenten diese Wirkung hat? ... Die erste und elementarste: Unter den Motiven der Studenten bei der Wahl der Hochschule muss das Interesse, an einer moeglichst angesehenen, guten, leistungsfaehigen Fakultaet zu studieren, das bestimmende sein. Moeglich ist das nur dann, wenn Leistungsniveau und Leistungsprofil der Hochschulen nicht schamhaft verschwiegen, sondern in sorgfaeltigem Vergleich ermittelt und oeffentlich gemacht werden." So der Politologe Peter Graf Kielmansegg in seiner Rede "Adam Smith und Wilhelm von Humboldt. Ueberlegungen zu der Frage, ob mehr Wettbewerb im deutschen Hochschulsystem wuenschenswert und moeglich sei", 1984 vor der Westdeutschen Rektorenkonferenz, u.a. dokumentiert im WRK-Sammelband "Hochschulautonmie - Privilieg und Verpflichtung", 1989, hier S. 191. Fein ist dann natuerlich, dass sich die Hochschulen inzwischen dank Hochschulrahmengesetz nun einen Teil ihrer Studierenden selbst aussuchen koennen. Damit die besten StudentInnen auch zu den besten Fachbereichen kommen koennen. Denn: "Es ist eine der groessten Schwaechen des deutschen Hochschulsystems, dass wir keinerlei Vorkehrungen treffen, um gezielt die guten Studenten mit den guten Professoren zusammenzubringen" (Kielmansegg, 1984, 192). Geht es nach der Hochschulrektorenkonferenz ("Zur Finanzierung der Hochschulen", 1995, http://stud-www.uni-marburg.de/~Bayer/stgeb/stghrk6.html), koennten Studiengebuehren diese Entwicklung forcieren: guter Ruf ergibt hoehere Gebuehren. Das heisst: fuers gleiche Geld weniger StudentInnen, bessere Arbeitsbedingungen und die besten Voraussetzungen, noch besser zu werden. Somit werden Fachbereiche mit einem guten Ruf immer besser und die anderen - bei konstanten oder sinkende Mitteln -- wohl schlechter. Somit kommen wir dem Ziel naeher: der Differenzierung der Hochschulen. Von von der haben viele was. "Trotz hoher staatlicher Aufwendungen und trotz der Reformen der sechziger und siebziger Jahre habe die Institution Hochschule einen Modernisierungsrueckstand: Fuer die Aufgaben und Bedingungen eines Massenausbildungssystems sei sie nicht adaequat organisiert", fasste der Volkswirtschaftler Hans-Juergen Block, 1977 bis 1993 an leitender Stelle im Wissenschaftsrat taetig, 1984 die gaengige Kritik zusammen. Wenn das Verhaeltnis Mitteleinsatz und Ergebnis nicht stimmt, kann zur Abhilfe entweder weniger Geld investiert oder das Ergebnis in die gewuenschte Richtung veraendert werden. Eine interne hierarchische Differenzierung des Hochschulsystems bewirkt sogar beides: Sie spart einerseits Kosten -- sehen es doch manche als fraglich an, "ob es finanziell vertretbar ist, alle Hochschulen in gleicher Weise mit Ressourcen auszustatten oder ob nicht staerkere Differenzierungen unvermeidlich sind, um zumindest an einigen Hochschulen die in vielen Faechern fuer eine erfolgreiche Forschung notwendigen Mittel- und Personalkonzentration gewaehrleisten zu koennen (Block) -- und bildet andererseits mehr Menschen "adaequat", naemlich berufsbezogen, aus. Darueber hinaus ermoeglicht sie ein Nebeneinander von Eliten- und Massenstudium. Das Konzept "Differenzierung" kommt also Regierungen mit knappgehaltenen Kassen, ArbeitgeberInnen sowie konservativen Menschen und Verbaenden entgegen - ein breites Buendnis, wenn es sich zusammenfindet. Und nach gut zehn Jahren hat es sich zusammengefunden. Das Ergebnis ist die Vierte Novelle des Hochschulrahmengesetzes. Wettbewerb ist dann das Zaubermittel, um die Differenzierung umzusetzen. Aber ich hoer vielleicht doch mal hier auf. Ich wuerde mich sehr ueber eine inhaltliche Debatte hierzu freuen. Da ich nicht weiss, ob das alle BASIN-LeserInnen wuenschen, habe ich ein Web-Diskussionsforum eingerichtet unter: http://f2.parsimony.net/forum2706/index.htm Mal sehen, wie das dort klappt. Gruss aus Marburg, Michael Bayer
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