Gute Noten machen gewissen Professoren der Heidelberger Physik schon seit Jahren zu schaffen. War es vor einiger Zeit vor allem die die Einslastigkeit der Diplomprüfungen, auf die sich das Augenmerk richtete und die zu wiederholten Appellen, doch die "Dynamik der Notenskala auszuschöpfen" führten, so ging es im letzten Fakultätsrat um die Noten in Promotionsverfahren. Der Genauigkeit halber sollte mensch sagen, dass Dissertationen nicht benotet werden, sondern ggf. "Prädikate" erhalten, mit klingenden lateinischen Namen. Wenn mensch ehrlich ist, hat sich da aber mittlerweile eine Interpretationspraxis entwickelt, und nach dieser ist die Notenverteilung in der Physik augenblicklich so, dass 21% der frischgebackenen Doktoren die Uni mit einer 1 verlassen, 70% mit einer 2, 9% mit einer 3. Die effektiv-Vier, immer noch "rite" genannt, kam gar nicht vor. Zu wenig "Dynamik", ganz klar.
Folge dieser Aussprache im Fakultätsrat ist jetzt ein Brief, den der Dekan an die BetreuerInnen von Dissertationen verschickt hat und der dem UNiMUT zugespielt wurde. Hierin äußert Dekan Wegner Ängste, die gegenwärtige Benotungspraxis könne die "Glaubwürdigkeit der Fakultät" gefährden, schlimmer noch, "die faire Beurteilung der wirklich herausragenden" KandidatInnen. Es folgt ein Aufruf, die "Skala für die Einzelnoten" voll auszunutzen, insbesondere innnerhalb von Arbeitsgruppen müsse auch mal was anderes als summa cum laude (vulgo 1) vergeben werden.
Mit einem Appell allein wollen es Dekan und Promotionsausschuss aber nicht bewenden lassen. Wer in Zukunft ein Prädikat verleihen will (was de facto bedeutet "keine Vier"), soll das von vorneherein sagen, also gleich nach der Begutachtung der Dissertation. Soll das vor allem gleich beim Promotionsausschuss sagen, auf dass dieser hin und wieder mal Emissäre in die Prüfung schickt, die im Zweifel die Vergabe eines Prädikats nochmal heftig in Frage stellen.
Es bleibt abzuwarten, was die Prüfer zu diesem Eingriff in ihre Prüfungsbefugnis (um das böse Wort "Bespitzelung" zu vermeiden) sagen werden. Ganz vernünftige Menschen werden ohnehin fordern, dem Prädikatsunwesen ein Ende zu bereiten. Denn es ist kein sehr kluges Ansinnen, von den Leitern von Arbeitsgruppen, die typischerweise über Jahre mit den Doktoranden gearbeitet haben und deren Herzblut häufig in den Arbeiten steckt, zu verlangen, sie sollten ihre Schützlinge in der Prüfung mutwillig im Interesse eigenartiger "Dynamiken" tunken. Das damit zu erwartende Scheitern des Ansinnes durch mehr oder minder repressive Maßnahmen verhindern zu wollen, macht die Sache nur noch schlimmer. Herr Wegner, lernen Sie aus dem Ende der DDR: Wenn ein System nur noch mit Repression zu halten ist, sollte mensch es ganz schnell abgeschaffen.
Dieser Artikel wurde zitiert am: 26.02.2003