Manchmal ist die Eigendynamik der öffentlichen Meinung verblüffend. In einem Netz, in dem sich allenthalben Bauanleitungen für Bomben finden, in dem Waffenhändler zu den top 5% of all web sites zählen (z.B. die Ulimate Weapons Systems), erregen sich deutsche Staatsanwälte mit geradezu sysiphotischer Ausdauer über die Netzfassung des Autonomenblattes radikal. Es konnte nicht ausbleiben, dass das DFN, Betreiber eines guten Teiles des deutschen Internets und insbesondere auch "Provider" für die Uni Heidelberg, reagiert; das ist jetzt geschehen, der inzwischen fast legendäre niederländische Server www.xs4all.nl wurde aus dem routing genommen, d.h. Pakete, die dorthin laufen sollen, kommen von Heidelberg aus nicht weiter als bis Karlsruhe (es lohnt sich, das mal mit traceroute zu überprüfen). Ironischerweise kommen Pakete zur ebenfalls nicht unumstrittenen auschwitzlügendenden "Zundelsite" nach wie vor ungehindert nach Kanada oder in die USA.
Der Versuch, mit Routingtricks Inhalte, ob Auschwitzlüge oder Bauanleitungen für Hakenkrallen, aus irgendwelchen Netzen fernzuhalten, ist allerdings auch ziemlich aussichtslos. Wer etwa am Alta Vista geeignet sucht, wird auf jede Menge Mirror Sites der radikal stoßen, die noch problemlos erreichbar sind; zudem gibt es Dienste wie den Anonymizer, über den mensch sich des Routings eines ganz anderen, vielleicht freieren Netzwerks bedienen kann. It is fast, it is easy, and it is free, wie Anonymizer wirbt -- das mit dem fast wird mensch relativieren müssen, aber es gibt Ausweichmöglichkeiten, etwa den eigentlich gegen chinesische Zensurversuche gerichteten Server nanjing.spc.uchicago.edu. Es bleibt, dass die Zensurversuche des DFN schlicht peinlich sind.
XS4ALL selbst übrigens hat zu diesen Vorgängen eine Pressemitteilung verfasst, mehr zum Thema kann mensch auf de.soc.zensur und bei der FU Berlin nachlesen.
Der Geschäftsführer des DFN, Klaus-Eckart Maass, ist mit der Sperrung einer Aufforderung des Bundeskriminalamts vom 2.4.97 nachgekommen. Das Bundeskriminalamt darf zwar keine Zensur (oder vergleichbares) anordnen -- dazu ist nur ein Richter befugt. Maass behauptet allerdings, nach dem Teledienstgesetz §4 Abs. 4 zur Sperrung verpflichtet gewesen zu sein. "Ich möchte wegen der radikal-Seiten nicht ins Gefängis gehen," so wird Maass von der jungen Welt zitiert. Peinlich dabei nur, dass das Teledienstgesetz am 18.4. erst in der ersten Lesung war und mithin noch keine irgendwie geartete Rechtskraft hat...
Nachtrag (21.4.97): Seit heute ist www.xs4all.nl offenbar wieder im Routing des DFN. Ob das als Eingeständnis einer Niederlage zu werten ist, als technische Panne oder gar als Akt der Liberalität, darüber kann wohl nur spekuliert werden.