Unirat demontiert Senatsbeschluss zum Fächertausch

Rückenwind revidiert Richtungswechsel (6.7.2005)

In Aktiengesellschaften soll der Aufsichtsrat die Arbeit des Vorstands überwachen. Wie schlecht das funktioniert, wurde in der breiteren Öffentlichkeit jüngst anhand der -- leider reichlich nebensächlichen -- Frage der trotz Pleite, Entlassungen und Werksschließungen bambusgleich gedeihenden Vorstandsgehälter diskutiert.

Ob diese Kontrolle je funktionieren kann, darf bezweifelt werden - sicher allerdings ist, dass sie nicht funktioniert, wenn, wie gegenwärtig, so ein Aufsichtsrat aus alten Vorständen und Mitgliedern von anderen Aufsichtsräten und Vorständen besteht, die sich als Zierde paar "Arbeitnehmer"vertreterInnen halten, die dann entweder domestiziert (Stichwort Zwickel) oder gegen die Wand manövriert werden.

Das neue LHG empfiehlt nun, den noch gar noch so alten Universitätsrat Aufsichtsrat und das Rektorat Vorstand zu taufen* -- und so kommen wir von der Vorrede zu dem, was am 27.6. in Heidelbergs Unirat geschah, jenem illustren Gremium, dessen Aufgabe in der langfristigen Steuerung der Uni liegen soll: Der Kompromiss zwischen dem Rektor und allen anderen zur Zukunft des AWI und dem de-facto-Einstellungsstopp für die Heidelberger Mathematik wurde in großen Teilen revidiert und ansonsten bis zur Unkenntlichkeit verzerrt:

Ob Aufsichts- oder Universitätsrat: Die Mitgliederliste spricht Bände. Zunächst findet sich im Unirat das komplette Rektorat, das mit großer Sicherheit die entscheidende Autorität für die sechs FrühstücksdirektorInnen ("externe Mitglieder") in Unifragen ist und damit bereits die absolute Mehrheit im Gremium hat.

Vorsitzender und damit Nachfolger des aus Gründen der Schadensbegrenzung abgewählten ZEIT-Lesers und Deutschbankers Cartellieri ist gegenwärtig der Seifen- und Schwammhersteller Paul Bettermann von Freudenberg ("Vileda"), dazu kommen Leute wie MLP-Chef Manfred Lautenschläger (zu MLP muss wohl nichts weiter gesagt werden, ein Blick auf den Emmertsgrund reicht), der für den Titel eines Ehrensenators ernsthaft Geld ausgibt, HGF-Chef Walter Kröll (als solcher unter anderem präsidierend über die Nachfolger aller deutschen Kernforschungszentren), die Hamburger Kultursenatorin Karin von Welck, über deren Orientierung angesichts der erzreaktionären Hamburger Bildungspolitik keine Zweifel bestehen müssen, sowie die ZUV-Alumna Ulrike Albrecht (deren Loyalitäten durch ihren beruflichen Werdegang klar sind) und der ehemalige israelische Botschafter Avi Primor, auch nicht eben berühmt für ausufernde Expertise in pädagogischen Fragen.

Die Verbindung zwischen diesen externen Mitgliedern und der Uni besteht -- so erstere nicht gerade ausgewiesene Fachblätter wie die ZEIT samt Starautoren wie Peter Glotz konsultieren -- aus den Informationen der vom Rektorat verwalteten Geschäftsstelle des Universitätsrats, mit denen sie dann die Auskünfte des Rektorats (und des Ministeriumsvertreters Müller-Arens) auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen. Da trifft es sich gut, dass das einschlägige Interesse der meisten externen Mitglieder ohnehin nicht zu kräftig ausgeprägt sein dürfte.

Die sieben "internen" Mitglieder haben damit nicht mehr viel zu melden, zumal wenigstens Paul Kirchhof als der Primus inter Pares nie durch sonderlich fortschrittliche Ideen zur Uni aufgefallen wäre und durch zahlreiche andere Posten auch kaum Zeit hat, sie zu entwickeln. Jens Marx als Studi und Gerd Apfel als Personalratsvorsitzender stehen also reichlich allein.

Der ganze Vorgang zeigt auf dem Präsentierteller, wie punktgenau das neue LHG sein Ziel der Zerstörung der akademischen Selbstverwaltung erreicht. Um so erstaunlicher ist, dass der Rektor vom Aufruhr seiner -- sonst als doch sehr brav geltenden -- VWL-Studis immer noch so beeindruckt war, dass er erneut über den breiten Verteiler eine Zusammenfassung der Ergebnisse seines Rates verschickte. Innerhalb von kaum einer Woche kamen vom Rektorat zwei Erklärungen, wo es über Jahre keine gab, und dann widersprechen sie sich noch.

Eigentlich sieht alles so aus, als habe das Rektorat beim ersten Versuch, etwas Transparenz zu schaffen, gleich eine äußerst peinliche Bauchlandung hingelegt, so schlimm, dass mensch fast gerührt sein könnte. Doch machen wir uns nichts vor: Hommelhoff wusste schon bei seiner ersten Erklärung mit großer Sicherheit, dass er den Senatsbeschluss -- eine kühl einkalkulierte taktische Niederlage für ihn -- im Unirat kippen lassen würde. In anderen Fällen schafft es der Rektor auch, Entscheidungen um eine Sitzung zu vertagen...

Aus dem scheinbaren PR-Desaster kann der Rektor so auch noch Profit schlagen: unbedarfte LeserInnen rektoraler Mails gewinnen den Eindruck, ein freundlicher Rektor habe es leider, leider nicht geschafft, einen von ihm mit viel Engagement herbei geführten Beschluss im bösen, bösen Unirat zu verteidigen. Wie gut für den Rektor, dass der Unirat nicht-öffentlich tagt und Mitglieder über den Sitzungsverlauf Stillschweigen bewahren müssen... Mensch darf aber getrost bezweifeln, dass die Proteste gegen die Demontage des AWI durch schlichte Chaotisierung und schlechte Mythenbildung zu beenden sind.

Wenn Vorgänge im Chaos versinken, ist spätestens seit NSI auch das Ministerium selbst nicht fern. Und tatsächlich, der Beschluss, den Einschreibestopp für das VWL-Diplom bereits auf dieses Wintersemester vorzuziehen, ist von Stuttgart schon wieder kassiert worden. Frankenberg befürchtet wohl einen Aufstand der anderen Unis mit VWL-Studiengängen und hat, wie man hört, "Struktur- und Entwicklungspläne" (also einen Aufschub von etwa zwei Jahren) bestellt, ohne die er diesem Teil der Rektor-Pläne nicht zustimmen wird.

Bei alldem behält die Fachschaft VWL einen halbwegs klaren Kopf und benennt in einer Presseerklärung, was hier passiert. Wo die SenatorInnen schweigen, zieht immerhin sie die Konsequenz, die bei einer an einen Putsch grenzenden offensichtlichen Brüskierung der Kollegialorgane fast zwingend ist -- sie fordert den Rücktritt des Rektors und die Offenlegung der Protokolle der Gremien. Letzteres wiederum ist ein Schritt, der schon seit mindestens vierzig Jahren fällig ist, und zwar für alle Gremien, soweit sie nicht unmittelbar mit Personalfragen beschäftigt sind. I have a dream...


*gegen diese -- relativ ehrlichen -- Bezeichnungen hatten die Rektoren im Vorfeld des landtäglichen Abnickens des LHG opponiert und -- was als großer Erfolg verkauft wurde -- durchgesetzt, dass sie die Termini in ihrer Grundordnung ändern dürfen. Diese hart errungene Freiheit, weiterhin Rektor, Kanzler und Unirat sagen zu dürfen, will die Uni Heidelberg auch in ihrer gegenwärtig in Arbeit befindlichen Grundordnung nutzen. Als ob es darauf ankäme. (zurück)

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Dieser Artikel wurde zitiert am: 20.07.2005