Am Rande des Wahlkampfs

Zwischen Tunnelblick und Bauernfängerei (23.05.2004)

Die Topografie der Stadt verrät es: Es ist wieder Wahlzeit. Demnächst sollen die BürgerInnen Heidelbergs über die Zusammensetzungen sowohl des europäischen als auch des Heidelberger Stadtparlaments entscheiden. Grund genug für den UNiMUT, wieder mal das wesentlichste Kommunikationsmedium der Herrschenden an ihre Untertanen zu ranken: die Wahlplakate.

Eine andere, eigentlich noch viel lustigere Idee zur Wahl hatte die gewiss aufstrebende Firma Hettenbach GmbH & Co KG Werbeagentur GWA. Sie hat an alle KandidatInnen einen (ziemlich blöden) Fragebogen verschickt und bietet ihnen an, für gerade mal 20 Euro ihre Antworten auf der Webseite http://heidelberg.kandidatenvorstellung.de (die gibts noch nicht) zu veröffentlichen. Diese Antworten dürften zwar genauso blöde sein wie die Fragen, spannend aber ist, wer überhaupt an diesem Spiel teilnimmt: KandidatInnen nämlich, die auf so eine billige Bauernfängerei hereinfallen, werden gewiss auch irrsinnigen Cross-Border-Leasing-Schemes nicht abgeneigt sein.

Mehr unerfreuliche Post ging den KandidatInnen mit Absender "Industrie- und Handelskammer Rhein-Neckar" zu. In dem hübschen Umschlag befand sich ein Papier, in dem "die Wirtschaft" äußert, was sie so über die Welt denkt. Dass diese Wirtschaft mit Steuern und Gebühren (für sie) nicht glücklich ist, überrascht genauso wenig wie ihre Sehnsucht nach "Stadtmarketing" und "reibungslos[em]" "Wirtschaftsverkehr". Nicht ganz so erwartet kommt die Euphorie für die Area Frankenstein (als "Technologiepark" auf dem HSB-Liniennetz verzeichnet) und vor allem der Wille zu einer "Ansiedlung eines neuen Magnetbetriebes in der Kernstadt" (das darf wohl als Megamall mit Multiplexkino gelesen werden), der mit Sicherheit für etliche der IHK-Mitgliedsbetriebe das Aus bedeuteten würde.

Nicht nur die IHK probiert sich in der Lobby des Rathauses, auch der Stadtteilverein Heidelberg posiert dort, und zwar mit einer Umfrage zum Verkehr im Neuenheimer Feld unter den KandidatInnen, bei der aber leider die (voraussichtlich immerhin auch mit ein oder zwei Sitzen im neuen Gemeinderat vertretene) Bunte Linke Liste fehlt. Das ist bedauerlich, denn ihre KandidatInnen haben im Großen und Ganzen (nicht nur) zu diesem Thema die mit Abstand klarsten Gedanken.

Angesichts solcher Vollblutpolitik ist die Europawahl, bei der sich SPD, FDP, Grüne und C[SD]U jeweils rechts zu überholen versuchen und von Studiengebühren bis Biometrie wild in allen Fiesheiten rühren, kreuzlangweilig. Wer trotzdem wissen will, wie das Wählen überhaupt funktioniert, sei auf den bisher besten Beitrag zur Wahl verwiesen: die Informationsseite der Stadt zu allen anstehenden Wahlen des Jahres 2004. Zumindest für den Gemeinderat mag das Kreuzchen nämlich schon etwas bringen, und sei es nur, dass im Gemeinderat nachher Leute sitzen, die sich weder von der IHK einschüchtern noch von Werbeagenturen abzocken lassen. Ansonsten bleibt der alte Spruch wahr: "Wenn Wahlen etwas ändern könnten, wären sie längst verboten."

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