Als vor zehn Jahren das noch mutige Reformteam von Beate Weber am Bismarckplatz einen Radweg wie aus dem Lehrbuch bauen ließ und dies -- natürlich -- dazu führte, dass dem Autoverkehr fast eine ganze Spur fehlte, war das Geschrei groß. Redaktion und LeserInnen der RNZ kamen über Jahren nicht über diesen Stachel im Fleisch freier Mobilität hinweg, und so überraschte es wohl niemanden, als Ende 2000 der inzwischen nach rechts gedriftete Gemeinderat das Thema Bismarckplatz ausgrub, um die alte Schmach auszuwetzen, also ein Exempel am Radweg dort zu statuieren. Heraus kam damals ein scheinbar von der Angst vor gewaltigen Protesten der RadfahrerInnen inspirierter Kompromiss: Die Autos sollten wieder drei Spuren bekommen, das aber, ohne allzu viel von der Breite des Radwegs wegzunehmen.
Inzwischen sind die Bauarbeiten fast abgeschlossen. Die FahrradaktivistInnen von Heidelberg rutschten allerdings beinahe von ihren Sätteln, als sie sahen, dass die Stadt doch tatsächlich sämtliche verkehrsplanerische Vernunft hat sausen lassen und während des Umbaus gleich mal den alten Radweg auf Straßenniveau in einen der berüchtigten "Gehsteigradwege" verwandelt hat -- von der Parkspur zur Todesfalle, wenn mensch so will.
Nachdem die MitarbeiterInnen von URRmEL wieder aufgestiegen waren, haben sie einen offenen Brief an zwei der mutmaßlichen Akteure in dieser Affäre geschrieben. Die Redaktion ist zwar etwas besorgt, weil sich die URRmEListInnen ganz offenbar schon nachhaltig auf das Konzept des Fahrradwegs an sich eingelassen haben, wo doch eigentlich klar ist, dass vernünftiger Stadtverkehr nur durch die Öffnung aller Straßen für jede Sorte Verkehr zu haben sein wird -- trotzdem wollen wir euch den offenen Brief nicht vorenthalten, auch in der Hoffnung, dass auch wir bald eine prall gefüllte LeserInnenbriefspalte haben werden.
Offener Brief des URRmEL e.V. and Jürgen Kuch und Raban von der Malsburg
Lieber Herr Kuch, Lieber Herr von der Malsburg,
Wir wärmen das Dauerthema ”Radweg am Bismarckplatz“ nicht gerne auf, doch der jüngste Rückbau des eigentlich einzigen wirklich befriedigenden Radwegs der Stadt kann wohl nicht ganz unkommentiert bleiben.
Der ursprüngliche Entwurf, wie er uns Anfang 2001 vorlag, sah vor, vielleicht 10 bis 20 cm vom Radweg wegzunehmen. Im Zusammenhang mit einer einer Erweiterung des für den motorisierten Indiviualverkehr (MIV) reservierten Straßenraums auf drei Spuren war dies zwar ein ärgerlicher Regress, schien jedoch noch akzeptabel angesichts eines Gemeinderats, in dem mehrheitlich noch nicht angekommen ist, dass noch kein Straßenausbau den Verkehr irgendwo reduziert oder auch nur eine Entlastung der Stausituation gebracht hätte.
Dass nun der Radweg auf den Bürgersteig verlegt wurde, ist hingegen nur noch als bizarre Provokation zu verstehen. Auch den VerkehrsplanerInnen der Gemeinde sollte bekannt sein, dass ”Gehsteigradwege“ mit einem erhöhten Unfallrisiko verbunden sind und zudem zwangsläufig für Konflikte mit FußgängerInnen sorgen (vgl. etwa das 1991 vom Bundesminister für Verkehr herausgegebe Heft ”Forschung Stadtverkehr, Zusammenfassende Auswertung von Forschungsergebnissen zum Radverkehr in der Stadt“ oder ADFC Forschungsdienst Fahrrad 173, online unter http://www.adfc-bw.de/texte/fdf.zip). Dies in Kauf zu nehmen für einen weitgehend sinnlosen Kotau gegenüber den ewiggestrigen Proponenten des MIV ist nicht nur eine Frechheit von Seiten des Gemeinderats, es ist auch ein Armutszeugnis für zuständigen Abteilungen der Verwaltung.
Es ist uns nicht klar, wie der unserer Ansicht nach eindeutige Gemeinderatsbeschluss in dieser fehlgeleiteten Weise umgesetzt werden konnte. Im Interesse der sicherheitsbewussten FahrradfahrerInnen der Stadt darf der jetzige Radweg jedoch nicht benutzungspflichtig werden.
Wir können uns drei Lösungen für das Problem vorstellen. Eine Notlösung wäre, den jetzigen Zustand zu belassen und den ”Gehsteigradweg“ als Bedarfsradweg (Zeichen 239 plus Zusatzschild ”Fahrräder frei“ o.ä.) zu deklarieren. Dies mindert immerhin den Zwang, hinter das vorher erreichte Sicherheitsniveau zurückzufallen.
Wünschenswerter wäre, die Aufpflasterung des Radwegs rückgängig zu machen und den Fahrradverkehr wieder auf Fahrbahnniveau zu führen. Nachteilig daran wäre neben den Kosten vor allem, dass sich die Baumaßnahme weiter hinziehen würde.
Die aus unserer Sicht günstigste Lösung besteht jedoch im vollständigen Verzicht auf dedizierte Fahrradstreifen. Dabei sollte der gesamte Bürgersteig den FußgängerInnen zur Verfügung gestellt werden -- dies ist in einer Einkaufszone durchaus angemessen. Um ein sicheres Miteinander aller Verkehrsarten zu garantieren, sollte zwischen Heussbrücke und Adenauerplatz eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf maximal 30 km/h verhängt werden. Als an diesem Knotenpunkt sicher willkommener Nebeneffekt ergäbe sich vor allem auf der Westseite des Bismarckplatzes eine erhebliche Lärmreduzierung.
Wir glauben, mit diesem Ansinnen nicht nur für unsere Klientel -- fahrradfahrende Studierende -- zu sprechen, sondern auch für die große Mehrheit der NutzerInnen des Bismarckplatzes.
Beschlossen von der Mitgliederversammlung des URRmEL e.V. am 10.10.2002
Dieser Artikel wurde zitiert am: 30.10.2002, 20.11.2002