Unter der Elite der Uni Heidelberg kursiert dieser Tage eine wild zusammengeschnipselte Kopie eines Artikels, den der von uns schon 1998 als Gebührenhetzer identifizierte SPD-"Bildungsexperte" Peter Glotz im Wochenblatt "Zeit" vom 4. April hat drucken lassen. In dieser Sorte von Samistad fragt mensch offenbar nicht nach dem Copyright. Oder darf es auf die Offenbarung überhaupt ein Copyright geben?
Bemerkenswert an dieser Diatribe ist zunächst wohl der Titel, "Raus aus der Zwangsjacke". Lasst ihn bloss drin, war die erschreckte Reaktion der Redaktion, bevor uns auffiel, dass die Psychiatrie nicht für Leute wie Peter Glotz gebaut wurde. Und so kann er guten Mutes sein Texteingabeprogramm bedienen -- von Textverarbeitung war in Glotzens Machwerk nicht viel zu merken.
Was hat er also eingegeben? Zum guten Anfang sei jedenfalls mal das Fliesenlegerargument erwähnt, das wir wiederum schon 1998 beklagen mussten. Das Argument geht etwa so: Reiche Leute zahlen ja heute keine Steuern mehr, und deshalb müssen die Kinder der armen Leute Studiengebühren zahlen, damit die Unis nach all den Umverteilungen überhaupt noch was zum Leben haben. Bei Glotz heißt das zwar "Unsozial ist es vielmehr, kleine Lohnsteuerzahler, die nie auch nur in die Nähe von Hochschulen kommen, immer stärker zu belasten, damit die Kinder der Mittelschicht gebührenfrei studieren können", aber an Formulierungsfragen wollen wir uns nicht aufhängen. Dabei versteht es sich von selbst, dass an der Hochschulferne der kleinen LohnsteuerzahlerInnen nix zu ändern ist, allein der Wille wäre ja so total 70er und sozialdemokratisch und damit nicht mehr konkurrenzfähig. Argumente dieser Qualität kommen in großer Zahl aus Glotzens Zwangsjacke. Hochinteressant etwa
"Das [ganz egal was] liegt am Prokrustesbett des öffentlichen Dienstrechts, an der bürokratischen Vereinbarungspraxis der Kultusministerkonferenz in Besoldungsfragen, der würgenden 'Kapazitätsverordnung' und dem aus all diesen Tatbeständen folgenden Regionalprinzip: Der deutsche Student studiert da, wo die Waschmaschine seiner Mutter steht"Was? Wie genau ist der Zusammenhang zwischen der KapVO und der Waschmaschine der Mutter? Diagnose: Galoppierende Logorrhoe, Wortdurchfall.
Vielleicht sei zwischendurch eingeflochten, dass wir im Zusammenhang mit dem neuen Budgetierungsmodell der Uni Heidelberg feststellen mussten, dass die KapVO noch regelrecht dicke Bretter bohrt (cf. ganz unten im zitieren Artikel) -- aber Glotz, Dozent für "Kommunikations- und Medienmanagement", ist wohl für dicke Bretter nicht zu haben. Was lehrt dieser Mann nur seinen Studis?
Hoffentlich nicht die Darlegung von Gedankengängen, denn schon bei seiner ersten Forderung, nämlich der lokalen Auswahl, schreibt er, mensch wolle diese haben, weil: "Das macht Arbeit, erfordert konzeptionelles Nachdenken, kostet Stellen". Dass genau dies (bis auf die Sache mit Konzeptionen) Ziele moderner Hochschulreform sind, war schon immer der Verdacht der Redaktion. Glotz fällt als weiterer Vorteil der lokalen Auswahl immerhin noch ein, dass die Unis sich auf diese Weise ein eigenes Profil schaffen könnten. Was daran gut ist oder auch nur, was das mit lokaler Auswahl zu tun hat ("Unser Profil ist, dass wir nur Leute mit blauen Augen nehmen" -- "Bei uns kommt keineR unter Schuhgröße 43 rein"), bleibt natürlich offen.
In diesem Stil geht es weiter, Argumente sind, das demonstriert Glotz offen, von gestern, nämlich allem Anschein nach die Sache von "Studentenfunktionäre[n]", die "daherreden wie ihre Mütter und Väter aus der 68er-Bewegung". Vor allem sind sie wohl auch deshalb von gestern, weil es keine Argumente gibt, die belegen könnten, dass die "Entwicklungslinien", die Glotz als Sachzwänge herunterbetet, nicht aufhaltbar sind -- warum können die öffentlichen Haushalte quasi naturgesetzlich nicht mehr Geld für Unis ausgeben? Weshalb soll sich ein "internationaler Bildungsmarkt" entwickeln, ganz offenbar ausgestattet mit einem Expansionsdrang, der den der Aliens von Scott und Cameron locker schlägt? Weshalb erzwingt ausgerechnet die "Wissensgesellschaft" ein "kurzes Grundstudium", so, als bedeute Wissensgesellschaft, dass immer weniger gewusst werden müsse?
Aber wozu auch Argumente? In Zeiten, in denen einer wie Glotz seine verbale Menstruation verspürt, argumentative Ersatzflüssigkeit auf saugfähiges Hamburger Zeitungspapier fließen lässt und das konfuse Resultat genau von denen als die wiedergefundene Offenbarung gehandelt wird, die ein Horrorszenario von sabbernden Eliten und globalem Dummschwätzen durchaus erheblich befördern können -- in solchen Zeiten möchte man eigentlich nur noch lobotomiert werden.
Oder -- was wohl etwa gleichwertig ist -- bei der Zeit über diesen Quatsch diskutieren.
Dieser Artikel wurde zitiert am: 26.11.2003, 06.07.2005